Alexander-Herzen-Universität
St. Petersburg
Die Lehre
von Culpa in contrahendo in deutscher Zivilistik der 2. Hälfte des 19.
Jahrhunderts
Die Entdeckung von
"culpa in contrahendo"
verbindet man traditionell mit Rudolf von Jhering, der in seinem Aufsatz aus
dem Jahre 1860 begründet hat, die culpa in contrahendo bilde eine Basis
für den Vertragsanspruch, mit dem die Folgen des nichtigen Kontrakts
beschränkt seien[1].
Er mitteilte: «Der Abschluß eines Contracts erzeugt nicht
bloß eine Verpflichtung auf Erfüllung, sondern wenn diese Wirkung
wegen irgend eines rechtlichen Hindernisses ausgeschlossen ist, unter
Umständen eine Verpflichtung zum Schadensersatz; der Ausdruck 'Nichtigkeit'
des Contracts bezeichnet nach römischer und heutiger Sprachweise nur die
Abwesenheit jener Wirkung, nicht die aller Wirkungen überhaupt»[2].
So dem Kernpunkt dieser Doktrin nach gibt es eine vertragliche Haftung für den Schaden, wenn auch dieser Schaden
infolge der Irreführung bei den Verhandlungen entsteht. Die Nichtigkeit
des Vertrags ist für vertragliche Art der Haftung von keiner Bedeutung.
Voraussetzung zum
Schadenersatz auf Seiten des Beklagten ist die "Verschuldung"[3].
Die Forschungsbefunde zusammenfassend, betonte Jhering: «Das Gebot der
contractlichen diligentia gilt wie
für gewordene, so auch für werdende Contractsverhältnisse, eine
Verletzung desselben begründet hier, wie dort die Contractsklage auf
Schadensersatz. Die culpa in contrahendo ist nichts, als die contractliche
colpa in einer besonderen Richtung»[4].
Die Frage vom
vorvertragtlichen Verschulden blieb aus mehreren Gründen außer dem
Forschungsbereich der antiken Jurisprudenz. So laut Giaro gebührte der
Phase von Vertragsverhandlungen in einem überwiegend persönlichen
Rechtsverkehr unter Anwesenden eine relativ geringe Bedeutung. Die Klagen aus
den Austauschverträgen waren als bonae
fidei iudicia von Grundsatz von 'Treu und Glauben' beherrscht. Im übrigen
kannten die Römer den dolus,
nicht aber culpa beim
Vertragsschluß[5].
«Der Bedarf nach ihrer Entdeckung durch die Pandektistik beruhe auf der
gleichzeitigen Hypertrophie des rechtsgeschäftlichen Willensdogmas, die
häufig für Vertragsnichtigkeit führte, und auf der Atrophie der
von der römischen lex Aquilia
über die Sachbeschädigung geregelten Deliktshaftung, die auf
bloße Vermögensschäden unanwendbar war»[6].
Den
Gesetzbüchern der Modernepoche war aber die Vertragshaftung für
vorkontraktliche Aufklärungspflichten bekannt. Das ALR verankerte
gesetzlich, daß die Regelung des Verschuldens bei Vertragserfüllung
auch für den Fall gilt, in dem man beim Vertragsabschluß die ihm
obliegenden Pflichten vernachlässigt hat[7].
Jhering interpretierte diesen Satz, der nach herrschender Meinung einen
gültigen Vertrag voraussetze, als eine unmittelbare Nachweis der
gesetzlichen Culpa-in-contrahendo-Bestimmung[8].
Er tadelte preußische Jurisprudenz, die die Bedeutung dieser Regelung
verlor[9].
Das ius commune, wie auch das römische
Recht, fanden besondere Haftung für Verschulden beim Abschluß von
wirksamen Verträgen unnötig, denn waren hier die Vertragsklagen
für ausreichend gehalten[10].
Deshalb interessierte sich Jhering nur für die Verträge, die infolge
des verschuldeten Irrtums, Dissenses oder des Widerrufs der Offerte nach ihrer
für Offerenten ungewiß gemachten Annahme unwirksam wurden. Jhering
schlug eine Klage auf Schadenersatz aus nichtigen oder nicht zur Perfection
gelangten, doch dem äußern Hergang nach zustande gekommenen und vom
Partner im Vertrauen auf ihren falschen "Schein" ausgeführten Verträgen
vor[11].
Er klassifizierte die
Nichtigkeitsgründe[12]
als Unfähigkeit des Subjekts (Handlungsunfähigkeit)[13]
oder des Objekts (Leistungsunfähigkeit)[14]
und Unzuverlässigkeit des Willens (Willensmängel)[15].
Die Abwesenheit der
diligentia in contrahendo führt
Jherings Theorie nach zur Vertragsnichtigkeit, infolge deren die Vertragshaftung
dafür entsteht[16].
Als Begründung seiner Entdeckung verweist Jhering auf zwei Stellen des
Corpus Juris[17],
die er als Gemeinnormen bezeichnet und deren er andere zwei Stellen der
Digesten als Beispiele der Sonderfällen unterstellt[18].
Darin besteht der tendenziöse Charakter der von Jhering unternommenen
Auslegung von römischen Rechtsquellen[19].
Der Schadenersatz
für Abschlußschuld wird nach Jherings Doktrin durch das negative
Interesse begrenzt und umfasst nicht die Fälle des positiven Erfüllungsinteresse[20].
So darf der Kläger Jherings – im Gegensatz zur ALR-Regelung, die der
Schadenersatz für Vertragsabschluß mit dem für Erfüllungsschuld
gleichsetzt, – nicht alles fordern, was er beim gültigen Vertrag zu
fordern hat, sondern nur das, als ob der Vertrag nicht abgeschloßen
worden wäre. Wir haben anzuerkennen, Jhering habe negatives Interesse
entdeckt, das «unter Umständen die Höhe des positiven
erreichen», nicht aber übersteigen durfte[21].
Jhering betont, das werdende Vertragsverhältnis entstehe nur mit der
– sei es auch stillschweigende – Offertenakzeptierung, die den
«intendierten und äußerlich oder scheinbar vollzogenen
Abschluß» zustande bringt[22].
Es ist Jherings Ideen nach unkorrekt, grobe Fahrlässigkeit mit der Arglist
«in außercontractlichen Verhältnissen» – vor
Antragsannahme – gleichzusetzen: «alle Unbefangenheit der
Conversation wäre dahin, das harmloseste Wort wurde zum Strick»[23].
So ist die culpa in contrahendo
Jherings, wie auch dieselbe nach ALR, ein Verschulden beim
Vertragsabschluß, nicht aber bei den Vertragsunterhandlungen[24].
Damit sind Jherings
Ideen über die culpa in contrahendo auf der generellen Bahn deutscher
Rechtswissenschaft des 19. Jhs: auch wenn Jheringschen Offerent nur mit der
Antragsannahme gebunden ist, während andere ihn mit dem Antragsempfang
gebunden wissen wollen, sind herrschender Meinung nach die vorkontraktlichen
Unterhandlungen von keiner rechtlichen Bedeutung (so Bernhard Windscheid[25]
und Ludwig Arndts[26]).
Heinrich Dernburg sieht keine culpa in
contrahendo, «wenn man Vertragsunterhandlungen anspinnt und nachher
willkürlich abbricht»[27].
Die
Paldektenlehrbücher von Dernburg und Windscheid haben den Anspruch aus
Verschulden bei Vertragsunterhandlungen längst gekannt. Dernburg, wie auch
Jhering, begründet die Haftung mit dem Verschulden des Beklagten[28],
sieht aber, im Gegensatz zu diesem, außerkontraktliche Natur der Klage:
«Die Klage ist eine außerkontraktliche, wenn ein Vertrag nicht zu
Stande gekommen, und keineswegs eine Kontraktsklage, wie Jhering annimmt»[29].
Er nimmt hier eine Konstruktion der lex
Aquilia an: «Die ältere gemeinrechtliche Theorie hat eine
Haftung nach analogie der lex Aquilia
auch bei schuldhafter Schadenzufügung, die nicht Sachbeschädigung
ist, angenommen. Hiervon ist… neuere Lehre nicht quellenmäßig
und zu vag zurückgekommen. Dagegen hat sich erhalten, daß man bei
Rechtshandlungen, durch die man einen anderen kulpos beschädigt, allerdings
für Schadensersatz einsteht»[30].
Dernburg erweitert
den Beklagtenskreis für culpa in
contrahendo: während Jhering die Klagen aus culpa in contrahendo nur gegen unmittelbarer Vertragspartner gibt[31],
lässt Dernburg diese Klagen auch gegen Boten, die falsche Mitteilungen
über die Erklärungen des Vertragsteils abgeben, und gegen Stellvertreter
zu[32].
Doch gelingt es Dernburg nicht, den sachlichen Anwendungsbereich dieser Haftung
genauer zu machen. Flieht er aber in die Kasuistik und zählt die
Fälle, in deren die Haftung aus culpa
in contrahendo entsteht, auf[33].
Bernhard Windscheid
hat eine umfassende Definition der culpa in contrahendo vorgeschlagen: der
Kontrahent haftet «für die nachteiligen Folgen des durch seine
Erklärung in dem Gegner erregten Vertrauens auf den Erwerb eines
Forderungsrechts aus dem Vertrag, insofern dieser Erwerb durch einen Grund ausgeschloßen
wird, welchen der Gegner nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet
ist»[34].
Windscheid verneint die von Jhering als innerer Haftungsgrund bestimmte
"Verschuldung" des Kontrahents, denn sucht er nach einer verschuldensunabhängige
Vertrauenshaftung[35].
In den früheren Pandektenauflagen sieht er den Anspruchsgrund in einer
«stillschweigenden Garantieübernahme». Seit 6. Auflage (1887)
beläßt er diese Willensdogma[36]
und behauptet, der Wille des Erklärenden solle nicht entscheidend für
die Haftung sein[37].
Hier benutzt er ein Billigkeitsargument und bricht mit sämtlicher
hergebrachter pandektistischer Argumentation. Und obwohl er anstatt des Bona-fides-Argument "das
Recht" benutzt, verweist er darauf, daß «in diesem Sinne…
auch Thöl und Goldschmidt… einfach auf die bona fides» abstellen[38].
Solcher Ansatz Windscheids ist nach Dernburg zu weit. Dernburg bemerkt,
daß dieser «die Haftung wegen angeblicher culpa in contrahendo sehr übertreibt»[39].
Solcherweise wurden
bis zum Ende des 19. Jhs einzige Klagen (die noch im römischen Recht
bekannt waren und dann in ALR und ABGB kodifiziert wurden) aus nichtigen
Kaufsverträgen infolge der von Jhering gemachte Quellensverallgemeinerung
und dank pandektistischer Literatur zum einheitlichen Institut des Vertragsrechts.
Nach dieses Rechtsinstitut entstanden die auf Kontrahentenverschulden beim
Vertragsschluß beruhenden Klagen. Diese Haftung war nur für
ungültige Verträge vorausbestimmt und durch das negative Interesse begrenzt.
Die danach folgenden Diskussionen und die langwierige gerichtliche Benutzung von
auf Umwege und Hilfskonstruktionen beruhender erweiternder Erläuterung des
BGB wurde die culpa in contrahendo zu den dreißigsten Jahren des 20. Jhs
zum selbständigen Haftungsgrund für vorvertragliches Verschulden. Diese
Haftung wurde von der Gültigkeit des Vertrags unabhängig und
umfaßt die Fälle des Schadenersatzes für sowohl negatives, als
auch positives Interesse[40].
[1] Jhering R.v. Culpa in contrahendo oder
Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfektion gelangten Vertragen, in:
Jherings Jahrbücher, Bd. 4. 1861.
[3] Jhering
bezeichnet: «das legislative Motiv unserer Klage kann also nicht…
in der bona fides des Käufers gesucht, die Klage mit der des wirklichen
Käufers überhaupt gar nicht in Parallele gebracht werden. Wir
müssen vielmehr uns daran halten, daß sie eine Schadensersatzklage ist, und demgemäß versuchen, ob
dieser Gesichtspunkt uns das Verständnis derselben zu erschließen
vermag. Die regelmäßige Voraussetzung der Verpflichtung zum Schadensersatz
auf Seiten des Beklagten ist die Verschuldung.
Gelingt es uns, bei unserer Klage letztere nachzuweisen, so ist damit die Frage
nach dem Grunde unserer Klage
gelöst. Wenn das Gesetz den Verkäufer in den… bekannten
Fällen zur Leistung des Schadensersatzes verpflichtet, so macht es ihm
damit den Vorwurf: Du hattest den Vertrag gar nicht abschließen sollen,
denn Du hättest den Hinderniß desselben kennen müssen, durch
Deine Unkenntniß ist der Gegner in Schaden gekommen. Nun lässt sich
allerdings nicht verkennen, daß die Verhältnisse unter
Umständen von der Art sein können, daß ihm dieses
Hinderniß bei dem besten Willen verborgen bleiben durfte, so z.B. wenn
der Verkauf eine legierte, außerhalb belegene und ihm nie zu Gesicht bekommene
Sache betraf. Daß der Verkäufer auch in einem solchen Fall haften
muß, ist nicht nur nach Maßgabe der Quellenäußerungen
unzweifelhaft, sondern entspricht auch durchaus der Billigkeit. Denn wenn es
sich einmal darum handelt, ob er oder der Käufer unter den Folgen seiner
Unkenntniß leiden soll, so kann doch die Wahl nicht zweifelhaft
sein» (Hier und weiter beim Zitieren dieser Abhandlung von Jhering sind
alle Sperrungen durch die Kursivschrift ersetzt. – K.G.). Siche: Jhering R.v. Culpa in
contrahendo. SS. 34-35.
[5] Giaro T. Culpa in contrahendo: eine
Geschichte der Wiederentdeckungen, in: Rechtsprechung: Materialen und Studien.
Bd. 14. Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter: Zur Reaktion der
Rechtsprechung auf die Kodifikation des deutschen Privatrechts (1896-1914).
Hrsg. v. U. Falk, H. Mohnhaupt. Frankfurt/M., 2000. S. 114. Siehe dazu: Melliger C. Culpa in contrahendo oder
Schadenersatz bei nichtigen Verträgen nach dem gemeinen und schweizerischen
Obligationenrecht sowie dem deutschen bürgerlichen Gesetzbuch. 2. Aufl.:
Zürich, 1898; Siber H. Recht der
Schuldverhältnisse. Allgemeiner Teil, in: Planck's Kommentar zum BGB. II.
1, 4 Aufl., Berlin, 1914, S. 192; Nirk R.
Rechtsvergleichendes zur Haftung für culpa in contrahendo, in: RabelsZ
18 (1953), S. 332 ff.
[7] ALR. I. 5
§ 284. Was wegen des bei Erfüllung des Vertrages zu vertretenden
Grades der Schuld Rechtens ist, gilt auch für den Fall, wenn einer der
Contrahenten bei Abschließung des Vertrages die ihm obliegenden Pflichten
vernachlässigt hat.
Es geht hier um die
aus die Normen positiven Rechts hervorgehenden Pflichten der Seite, ihrem
Kontrahenten die entsprechende Information von bestehenden Hindernissen
für Gültigkeit des Vertrags zu melden. Für den Fall der culpa in contrahendo bei Vertragsschließung nennt Heinrich
Dernburg folgende Beispiele: «Wer einen Antrag zu einem Geschäft gemacht
hat, muß dem Akzeptanten, wenn dessen Annahme rechtzeitig abgesendet war,
aber verspätet ankam, im Fall des Zurücktritts von der Offerte mit
nächster Post Nachricht geben, widrigenfalls er… ersatzpflichtig
wird, wenn der Akzeptant den Vertrag irrtümlich für zu Stande
gekommen ansah und Aufwendungen hatte… Der Minderjährige, das
Hauskind, die Ehefrau, welche den Irrtum des anderen Teils über ihre
Handlungsfähigkeit, wenn auch nur durch leichtes Verschulden
veranlaßt haben, sind demselben gleichfalls verhaftet…».
Siehe: Dernburg H. Lehrbuch des
preußischen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs. Bd. 2:
Das Obligationenrecht Preußens und des Reichs und das Urheberrecht. 3.,
neu bearb. Aufl., Halle, 1882. S. 38.
[8] Jhering R.v. Culpa in contrahendo. S. 44
betont, daß «der Verkehr den Grundsatz der culpa in contrahendo gar
nicht entbehren könne, und ich hoffe das Gewicht meiner theoretischen
Ausführungen nicht unbeträchtlich zu verstärken, indem ich
nachweise, wie jener Grundsatz – freilich in unbewußter Weise, aber
dadurch für meinen Zweck nur um so schlagener – in einer Reihe
einzelner Fälle sowohl in der gemeinrechtlichen Doktrin als von neueren
Gesetzgebungen zur Anwendung gebracht worden ist. Auf jenem Gebiet ist die
Notwendigkeit der Schadensersatzklage freilich nur in den beiden… namhaft
gemachten Fällen anerkannt worden, von den neueren Gesetzgebungen aber
haben mir nur das allgemeine preußische Landrecht und das
österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, insbesondere
ersteres eine ganz überraschende Bestätigung meiner Ideen
gewährt, während ich im französischen Recht nichts habe finden
können… Nach dem Vorgang des römischen Rechts zu
schließen, versprach ich mir von beiden genannten Gesetzbüchern kaum
eine Ausbeute, allein mein Versuch fiel glänzender aus, als ich erwartet
hatte».
[9] Jhering R.v. Culpa in contrahendo. S. 51: man
«möchte… kaum eine klarere Anerkennung meiner culpa in
contrahendo denken können, als sie» im ALR. I. 5 § 284
«ausgesprochen ist. So weit ich beurteilen kann, hat die preußische
Jurisprudenz sich diesen so höchst wichtigen Paragraphen, der unsere ganze
Lehre in sich schließt, und der mir, wenn er sich in den römischen
Rechtsquellen vorfände, alle meine Deduktionen erspart hätte, so gut
wie entgegen lassen. Ob die Verfasser des Landrechts sich der Tragweite
desselben bewußt gewesen sind, lasse ich gern dahingestellt, aber da hier
nicht Mutmaßungen entscheiden, sondern der Inhalt, wie er mit klaren
Worten im Gesetz ausgesprochen ist, so kann die Befugniß, den Ausspruch
in seinem vollen Umfange zu verstehen, nicht beanstandet werden. Wenn es ein
Prüfstein für den praktischen Werth einer Theorie ist, daß sie,
ganz ihre eignen Wege gehend, im Resultat mit der Gesetzgebung zusammentritt,
und es ihr gelingt, die sporadischen Bestimmungen, die letztere nicht
bloß unabhängig, sondern im scheinbaren Widerspruch mit der
herrschenden Lehre, lediglich durch das praktische Bedürfniß
geleitet, getroffen hat, auf ein höchstes Prinzip zurückzuführen
und theoretisch zu rechtfertigen – dann, meine ich, hat die meinige diese
Probe bestanden, und ihre praktische
Berechtigung dürfte nicht mehr in Zweifel gezogen werden». Es
ist hier zu bemerken, daß Heinrich Dernburg in seinem Lehrbuch des
preußischen Privatrechts Jheringscher Meinung beistimmt: «Nach
moderner Rechtsanschauung, jedenfalls aber nach preußischem Recht, halten
Personen, welche mit einander in Vertragsverhandlungen treten, selbst wenn
dieselben nicht zu einem Abschlüß oder zu einem gültigen
Vertrag führen, gegenseitig für eine gewisse Sorgfalt, für s.g.
culpa in contrahendo». Siehe: Dernburg
H. Lehrbuch des preußischen Privatrechts II. SS. 37 - 38.
ALR-Regelung kommentierend, erklärt er: «Es wird hier nicht
unterschieden, ob der Vertrag zu Stande kam oder nicht. Da das preußische
Recht in Übereinstimmung mit einer starken Strömung des gemeinen
Rechts überhaupt die Haftung für außerkontraktlische
Verschuldung adoptiert hat… so ist dies nur folgerecht» (Dernburg H. a.a.O. S. 38. Fn. 2).
[10] Windscheid B. / Kipp T. Lehrbuch des
Pandektenrechts II, 9. Aufl. Frankfurt/M., 1906. S. 250. Anm. 5; Steinberg W. Die Haftung für culpa
in contrahendo. Bonn, 1930. S. 13.
[13] Es geht hier
um die für einige Personen festgestellten Beschränkungen der Fahrigkeit,
zu veräußern und sich zu verpflichten, – entweder schlechthin
oder doch für gewiße Geschäfte. Diese Beschränkungen
gelten für bevormundeten Personen und Minderjährigen, für Frauen
(Interzessionen) und bei Hauskindern (Geldanlehen). Die Haftung für culpa in contrahendo ist, Iheringschen
Ideen noch, durch §§ 33 und 36 preußisches ALR I. 5 bestimmt,
gemäß deren die Seite, die von einem Unfähigen zur
Schließung eines Vertrages verleitet wurde, aus dem Vermögen
desselben Schadloshaltung fordern kann; wer aber seiner Unfähigkeit sich bewußt,
einen Andern zur Schließung des Vertrages verleitet hat, haftet als ein
Behrüger. Siehe: Jhering R.v.
Culpa in contrahendo. SS. 57, 58, 45. Zur Vertragsnichtigkeit infolge der
Unfähigkeit des Subjekts: Jhering
R.v. Culpa in contrahendo. SS. 57-62.
[14] Kennt eine der
Vertragsseiten, daß dieser Vertrag eine Unmögliche Leistung annimmt,
so haftet sie für ihre culpa in
contrahendo. Siehe: Jhering R.v.
Culpa in contrahendo. SS. 63-71.
[15]
Unzuverlässigkeit des kontraktlichen Willens kann von zwei Arten sein -
Unzuverlässigkeit der Willenserklärung (Differenz zwischen Inhalt und
Form des Willens) und Unzuverlässigkeit des Willens selber (Differenz
zwischen dem früheren Willen und dem jetztlichen Nichtwollen). Zum
letzteren Fall gehören: Widerruf der Offerte bei Vertragsabschluß
unter Abwesenden, Willensänderung bei Abschluß von Verträgen
durch Mittelpersonen, Tod des Offerenten vor der Akzeptation bei
Vertragsabschluß unter Abwesenden, Zurücknahme öffentlicher
Auslobung. Zur Vertragsnichtigkeit infolge der Unzuverlässigkeit des
Willens siehe: Jhering R.v. Culpa in
contrahendo. SS. 71-106.
[16] Hilderbrandt H. Erklärungshaftung,
ein Beitrag zum System des bürgerlichen Rechts, Berlin-Leipzig, 1931, S.
39.
[17] D. 18.1.62.1. Modestinus libro quinto regularum… Qui
nesciens loca sacra vel religiosa vel publica pro privatis comparavit, licet
emptio non teneat, ex empto tamen adversus venditorem experietur, ut
consequatur quod interfuit eius, ne deciperetur. Inst. Just. 3.23.5. Loca sacra vel religiosa, item publica, veluti forum basilicam, frusta quis sciens emit, quas tamen si pro privatis vel profanis deceptus a venditore emerit, haberit actionem ex empto, quod non habere ei liceat, ut consequatur, quod sua interest deceptum eum non esse. Item iuris est, si hominem liberum pro servo emerit.
[18] D. 11.7.8.1. Ulpianus libro vicensimo quinto ad edictum…
Si locus religiosus pro puro venisse dicetur, praetor in factum actionem in eum
dat ei ad quem ea res pertinet: quae actio et in heredem competit, cum quasi ex
emptio actionem contineat.
D. 18.4.8 et D. 18.4.9: l. 8. Iavolenus libro secundo ex Plautio. Quod
si nulla hereditas ad venditorem pertinuit, quantum emptori praestare debuit,
ita distingui oportebit, ut, si est quidem aliqua hereditas, sed ad venditorem
non pertinet, ipsa aestimetur, si nulla est, de qua actum videatur, pretium
dumtaxat et si quid in eam rem impensum est emptor a venditore consequatur. l.
9. Paulus libro tricensimo tertio ad
edictum. Et si quid emptoris interest.
[19] Siehe: Mommsen F. Über die Haftung der Contrahenten
bei der Abschließung von Schuldverträgen, in: Mommsen F. Erörterungen aus dem Obligationenrecht. Bd. 2, Braunschweig.
1879; Dernburg H. Lehrbuch der
Pandekten, 5. Aufl., Bd. 2. Berlin, 1897. S. 28. Fn. 11.
[21] Jhering R.v. Culpa in contrahendo. S. 21 ff: «Das
negative Interesse kann unter Umständen die Höhe des positiven
erreichen». In diesen «Fällen erhalten die Kläger ganz dasselbe,
was sie im Fall des Ausführung des Vertrages hätten fordern
dürfen, aber… aus einem ganz anderen Grunde. Dasselbe ist auch
rücksichtlich des positiven
Schädens möglich». Die Kategorie des negativen Interesse
wurde von Otto Bähr entschieden abgelehnt. Siehe dazu: Bähr O. Über Irrungen im
Contrahiren, in: Jherings Jahrbücher. Bd. 14. N.F. Bd. 2., 1875. S. 422; Giaro T. Culpa in contrahendo. S. 116.
[24] Als Beispiel
der culpa in contrahendo bei den Vertragsverhandlungen, die zu keinem
Abschluß kamen, nennt Dernburg § 323 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches
(HGB): «Wer sich z.B. in Kaufunterhandlungen eingelassen hat, wird
für die ihm auch unausgefordert zur Ansicht oder Prüfung zugestellten
Vertragsobjekte Sorge zu tragen haben. Ausdrücklich bestimmt ferner das
HGB, daß ein Kaufmann, wenn zwischen ihm und dem anderen Teil eine
Geschäftsverbindung besteht oder wenn er sich ihm gegenüber zur
Ausführung von Aufträgen erhoben hat, schuldig sei, falls er
gleichwohl einen ihm gemachten Auftrag ablehnt, die mit dem Auftrag
übersendeten Waren, soweit er für die Kosten gedeckt ist und es ohne
seinen Nachteil geschehen kann, vor schaden zu bewahren hat, widrigenfalls er
ersatzpflichtig wird». Siehe: Dernburg
H. Lehrbuch des preußischen Privatrechts II. S. 39.
[26] Zitate aus: Küpper W. Das Scheitern von
Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der culpa in contrahendo. Berlin, 1988. S.
47.
[27] Dernburg H. Das bürgerliche Recht
des Deutschen Reichs und Preußens I. Die allgemeinen Lehren, 3. Aufl.
Halle, 1906. S. 440. Siehe dazu: Süss
W. Heinrich Dernburg - ein Spätpandektist im Keiserreich. Leben und
Werk. München, 1991. S. 227 - 229; Thon
A. Die Haftpflicht des Offerenten bei Widerruf seiner Offerte, in: Festgabe
für Burkard Wilhelm Leist zum fünfzigjährigen
Doctor-Jubiläum am 17. Mai 1891. Faks.-Neudr. 1987. SS. 69-119.
[31] Siehe: Jhering R.v. Culpa in contrahendo. S.
[32] Dernburg H. Pandekten II. A.a.O.
Gemäß der von Heinrich Dernburg entwickelten
"Cooperationstheorie" kontrahiert bei der Stellvertretung der
Geschäftsherr, nicht aber der Stellvertreter (Siehe: Süss W. Heinrich Dernburg - ein Spätpandektist im
Keiserreich. Leben und Werk. München, 1991. S. 228). Für deise
Meinung hat Jhering eine Klage aus culpa
in contrahendo gegen den Stellvertreter abgelehnt. Siehe: Jhering R.v. Culpa in contrahendo. S.
53-55 ff.
[35] Ebd.
[36] Zur
Winscheids Lehre vom negativen Vertragsinteresse: Falk U. Ein Gelehrter wie Windscheid. Frankfurt/M., 1989. S. 41 ff.
[37] Windscheid B. Pandekten II. S. 157. Fn.
5: «DasRecht ist es, welches will, daß der Empfänger einer
Willenserklärung sich darauf muß verlassen können, daß
auf sie ein Vertrag durch Annahme entstehen könne bzw. daß durch sie
ein Vertrag zu Stande gekommen sei». Ulrich Falk, der (Falk U. Ein Gelehrter wie Windscheid.
Frankfurt/M., 1989, S. 46 ff.) zum Ergebnis kommt, daß die die culpa in
contrahendo betroffenen Ausführungen von Windscheid keinen begriffsjuristischen
(Zur Begriffsjurisprudenz siehe:
Haferkamp H.-P. Georg Friedrich Puchta und die
"Begriffsjurisprudenz". Frankfurt/M., 2004), formalistischen oder
positevistischen Einschlag besitzen, konstatiert, das es kein "Recht"
ist, welches diese Haftung für culpa
in contrahendo sehen will, sondern «ein gestaltungsfreudiger
Pandektist, der… das Postulat der Quellenmäßigkeit samt ihrer
willenstheoretischen Surrogate ignoriert» (Falk U. a.a.O. S. 45).