Note-&-Rassegne-2018

 

 

Maissel-foto - CopiaCorpus und universitas – Rezension Groten *

 

 

Franz Stefan Meissel

Universitätsprofessor für Römisches Recht

an der Universität Wien

Vize-Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät

Direktor der Sommerhochschule der Universität Wien

 

 

* Andreas Groten, corpus und universitas. Römisches Körperschafts- und Gesellschaftsrecht: zwischen griechischer Philosophie und römischer Politik, Mohr Siebeck Tübingen 2015, 477 S. – ISBN 978-3-16-153316-7

 

 

Wie der Titel schon andeutet, vereinigt Groten in seiner unter der Betreuung von Martin Avenarius an der Universität zu Köln entstandenen Dissertation mehrere Perspektiven. Zum einen geht es ihm darum, anhand der Begriffe corpus habere und universitas der Frage nachzugehen, welche Ansätze körperschaftlicher Ausgestaltung von Personenverbänden im römischen Recht zu finden sind. Die zentrale Passage des Gaius aus dessen Kommentierung des Provinzialedikts (D. 3.4.1) wird daher mehrfach ausgewertet (zunächst in einem ersten Exposé, S. 34-47, dann zum corpus habere, S. 153-162, sowie zur Konzession des corpus habere, S. 205 f, mit einer ausführlichen historischen Darlegung der dokumentierten Rechtsgrundlagen zur Genehmigung von Personenverbänden, S. 206-314).

Ein eigener Abschnitt ist der Entwicklung des universitas-Begriffs (S. 47-72) gewidmet, in dem die Einführung des Begriffs durch Cicero, der „technische Gebrauch“ des Begriffs in der Landvermessung und die von dort ausgehende Verbreitung des Begriffs in der juristischen Literatur beschrieben wird. Dabei geht Groten von einer Entwicklung von einem untechnischen Begriff, der auf diverse Einheiten, die aus unterschiedlichen (teilbaren) Teilen bestehen, bezogen werden kann (vom Weltall bis zum geschuldeten Gesamtwerk bei der locatio conductio operis im Gegensatz zu den Tagewerken) hin zu einer bereits technischeren Bedeutung bei den Agrimensoren und dann einer juristisch-technischen Konnotation im Recht der Personenverbände aus, wobei er betont, dass universitas im klassischen Recht sich nur auf solche Personenverbände bezogen habe, die «der Sphäre des öffentlichen Rechts zuzuordnen sind» (S. 71).

Richtig ist, dass sich die Quellen überwiegend auf den römischen Staatsverband oder aber Munizipien beziehen (vgl insbes Ulpian D. 3.4.7). Anzumerken ist, dass in den Schriften zur Feldmesskunst universitas zwar möglicherweise erstmals in einem juristischen Kontext vorkommt, von einem „technischen Gebrauch“ ist dabei aber nicht wirklich auszugehen. Was universitas bedeutet, ergibt sich jeweils aus dem Zusammenhang, eine darüber hinaus gehende begriffliche Verdichtung ist hier noch nicht feststellbar, weshalb eine solche auch nicht in der juristischen Literatur rezipiert werden konnte.

Ein zentrales Interesse des Autors ist auf die Frage des Einflusses unterschiedlicher Strömungen der griechischen Philosophie auf die Entwicklung des corpus- bzw universitas-Begriffs gerichtet. Dementsprechend wird bereits im einleitenden Kapitel, das den Stand der Forschung wiedergibt, auf die verschiedenen philosophischen Richtungen (die stoische, die akademisch-peripatetische, die epikureische sowie die skeptische Philosophie) und die diesen in der bisherigen Literatur zugewiesenen Einflüsse eingegangen. Ein ausführliches Kapitel ist der stoischen Vorstellung der Körperlichkeit in der soma-Lehre gewidmet (S. 77-146) und dessen behaupteter Rezeption in den Juristenschriften beim Begriff des corpus ex distantibus und des corpus habere bei den Personenverbänden (S. 147-162) gewidmet. Dass die stoische Körperlehre (in der Ausprägung der „mittleren Stoa“ wie Groten ganz plausibel herausarbeitet) auf die sachenrechtliche Vorstellung der corpora ex distantibus eingewirkt haben dürfte, ist keine ganz neue Idee, die unterschiedlichen Lehren zur Körperlichkeit und die dialektische Auseinandersetzung der stoischen Philosophen mit den Einwänden der skeptisch-akademischen Richtungen werden von Groten aber sehr anschaulich und quellennahe rekonstruiert. Als stoische Kernvorstellung bezüglich der Gesamtkörper betont Groten, dass die Einzelkörper als solche bestehen bleiben und sie lediglich auf eine bestimmte, ihnen in ihrer Gesamtheit zukommende Beschaffenheit zu einem einheitlichen Gesamtkörper verbunden erscheinen bzw als ein solcher erkennbar sind (S. 132).

Dass die Vorstellung des corpus ex distantibus von den römischen Juristen auch auf Personengruppen (ich würde hier noch nicht zwingend von „Personenverbänden“ sprechen) angewandt wurde (dazu Groten 149 f), belegen Ulpian D. 50.16.195.2, wo die familia mit einem corpus verglichen wird oder die Zusammenfassung von colliberti, die gemeinsam ein Legat erhalten haben als corpus bei Scaevola D. 32.38.5. Gerade diese Beispiele zeigen aber, dass corpus habere nicht zwingend eine technische Bedeutung iSv „Körperschaft“ oder gar „juristischer Person“ haben muss, sondern lediglich ausdrückt, dass im Hinblick auf bestimmte (hier rechtliche) Bande mehrere Personen als Gruppe bzw Gesamtkörper betrachtet werden können.

Eigene Abschnitte behandeln schließlich die rechtliche Ausgestaltung von Personenverbänden (S. 315-348) sowie die Veränderung des Rechtszustandes durch die „iustinianische Kodifikation“ (S. 349-356). Ein kurzer Abschnitt zur Modellfunktion der Gemeinde für das Recht der Personenverbände führt dann zurück in die vermutete „älteste Schicht“ der Quellen.

Im Schlusskapitel wird die „Entwicklung des Rechts der Personenverbände“ (S. 363-369) in fünf Entwicklungsstufen zusammengefasst: Die früheste rechtliche Konstruktion privater Personenverbände durch „analoge Übertragung der Strukturen öffentlich organisierter Personenverbände“ datiert Groten «spätestens auf das dritte Jahrhundert vor Christus» (S. 363). Ohne tiefere theoretische Durchdringung sei hier bereits eine Innenorganisation mit Repräsentation der Mitglieder nach außen durch magistri sowie das Vorhandensein eines «an die Gemeinschaft gebundenen Vermögens» zu beobachten. In der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor Christus sei dann unter griechischem, vor allem stoischen Einfluss eine Vorstellung des corpus als Einheit von Einzelteilen, die zu einem Gesamtkörper verbunden sind, entstanden, die dann zu Ciceros Zeit zur Auffassung des Personenverbandes als «durch Rechtsverhältnis oder Pflichtenbindung zu einem Gesamtkörper verbundener Einheit» (S. 365) geführt habe, der als solcher rechts- und handlungsfähig gewesen sei. Diese Vorstellung eines Gesamtkörpers als ontologische Tatsache sei dann aber unter akademisch-skeptischen Einfluss als bloß begriffliche Kategorie aufgefasst worden, weshalb die konstitutive Bedeutung der staatlichen Genehmigung für die Einheit des Personenverbandes hervorgetreten sei (S. 367). Für dieses Stadium nimmt Groten – in der Gefolgschaft von Behrends – an, dass sich der Begriff der universitas da zu einer abstrakten Konstruktion «unter einem Begriff (nomen)» verdichtet habe. Ab der Regierungszeit der Severer sei es dann zur Vorstellung eines ius corporis als Summe der Rechtspositionen der wirtschaftlichen Verbände gekommen. Im justinianischen Recht schließlich bildet sich ein erweiterter Begriff der universitas, unter dem alle Personenverbände, sei es öffentlicher, sei es privater Natur, zusammen erfasst worden seien.  Eine ausführliche italienischsprachige Synthese (S. 371-388) und die üblichen Register komplettieren das Werk.

Wie der Inhaltswidergabe bereits zu entnehmen ist, geht es Groten um das Nachzeichnen (angeblicher) konzeptioneller und terminologischer Entwicklungen im Recht der Personenverbände. Der Spärlichkeit der Überlieferung steht eine Neigung des Autors zur intuitiven Erkenntnis unterschiedlicher philosophischer Strömungen gegenüber, eine Neigung, die auch in der bisherigen Literatur schon stark verbreitet war. Ein Angelpunkt der Diskussion ist dabei die Frage, ob die bei Gaius für Personenverbände anzutreffende Bezeichnung universitas eine technische Bedeutung hat oder ob dieser Begriff, der ja auf verschiedenste „Einheiten“ angewandt wird (vom All über zusammenhängende Grundstücke bis hin zu Munizipien als Personenverbänden) je nach Kontext Unterschiedliches meint und aus diesem Begriff allein noch keine Schlüsse über die Konzeption von Personenverbänden durch die römischen Juristen gewonnen werden kann. Die zu Letzterem tendierende heute wohl herrschende Auffassung, der auch der Rezensent zuneigt, wird von Groten bekämpft, seine Beweisführung beruht aber über weite Strecken auf bloßen Überzeugungen und Behauptungen. Selbst wenn die Vorstellung der aus getrennten Sachen gebildeten Gesamtkörper in der stoischen Lehre des Chrysippos auch auf Personengruppen (Chor, Legion, Gemeinde) angewandt wurde, so ist daraus über die eigenständige Handlungsfähigkeit solcher Gesamtkörper noch nichts gesagt. Dass Ulpian D. 50.16.195.2 die Familie als Beispiel eines corpus (ex distantibus) anführt, spricht dafür, dass solche „Personen-Verbindungen“ keinesfalls zwingend mit der Vorstellung einer juristischen Person verknüpft sind. Auch dass die Vereinigungen, die einen Körper haben, „eigenes“ Vermögen haben können (vgl Groten S. 323), lesen wir bei Gaius so nicht: Dort ist von res communes und einer arca communis die Rede, dies spricht doch eher für die Vorstellung von Miteigentum der der Vereinigung angehörenden Mitglieder.

Gerade die von Groten sehr ausführlich nachgezeichnete stoische Auffassung der Gesamtkörper (corpora ex distantibus) zeigt, dass hier dieselben Teile – je nach Kontext und Perspektive – einmal als Teile und dann auch als Gesamtheit betrachtet werden. Das mag zur sich entwickelnden Vorstellung einer „Körperlichkeit“ (und Ansätzen eines Körperschaftscharakters) beigetragen haben; letztere müsste aber auch aus den juristischen Quellen belegbar sein und lässt sich nicht aus einem philosophischen Ansatz allein extrapolieren. Auch die scharfsinnige Analyse des Begriffs corpus bzw der Wendung corpus habere bei Gaius D. 3.4.1 durch Groten (S. 147 ff) sowie die Hochstilisierung von nomen universitatis zu einem technischen Körperschafts-„Begriff“ (dazu bereits kritisch J. Platschek, Zeitschrift für die gesamte Handelsrechtswissenschaft 181 (2017) 4-6), erscheint letztlich überzeichnet: Meines Erachtens ist der Gaiustext vor dem Hintergrund einer durchaus ambivalenten Verwendung von corpus zu lesen; zwar stimme ich Groten darin zu, dass corpus habere eine gewisse einheitliche Betrachtungsweise der von Gaius behandelten Personenverbände suggeriert und damit auf eine Eigenschaft hinweist, die diesen Verbänden gemein ist; zugleich aber wird corpus (hier wie auch sonst in antiken Quellen) wohl auch synonym mit anderen Bezeichnungen von corpora wie collegium und societas verwendet (so mE im Principium von D 3.4.1 bei huiusmodi corpus).

Die von Groten angenommene schon weit entwickelte Vorstellung eines Verbandscharakters von Personenvereinigungen in der späten Republik, die dann unter „skeptisch-akademischer Kritik“ zurückgedrängt worden sei, erscheint mir aus den Quellen nicht beweisbar. Auch die Deutung von collegia Romae certa sunt in D 3.4.1.4 als Verbände, die durch die rechtliche Anerkennung zu einem corpus certum (und damit rechts- und handlungsfähig) wurden, ist zwar originell, überzeugt aber letztlich nicht. Zwar ist Groten zuzugeben, dass der umgekehrte Begriff des corpus incertum zB in Ps. Ulp. 22.5. verwendet wird, um die mangelnde Erbfähigkeit eines municipium zu begründen (S. 164); dies hängt aber gerade nicht mit der Frage der rechtlichen Anerkennung (diese fehlt den municipia wohl nicht), sondern mit der Unbestimmtheit ihrer Zusammensetzung aufgrund der wechselnden Zugehörigkeit einzelner Gemeindemitglieder zusammen. Wenn dann berichtet wird, dass durch Senatsbeschluss Gemeinden zugestanden wurde, durch ihre Freigelassenen zu Erben eingesetzt zu werden, so ändert dies nichts an der Unbestimmtheit im strengen Sinn, bildet aber eine Rechtsgrundlage, um vom Bestimmtheitserfordernis (der als Erben Eingesetzten) ausnahmsweise abzusehen.

Einen eigenen, beinahe monographischen Abschnitt, widmet Groten dem Erfordernis der Genehmigung der Vereinsgründung (S. 205-314). Hier findet sich unter anderem eine lesenswerte eigenständige Auseinandersetzung mit dem SC de Bacchanalibus (S. 208-235) sowie eine vorzügliche Darstellung der Vereinspolitik des Augustus und der lex Iulia de collegiis (S. 241-305). Den Inhalt der Genehmigung, der epigraphisch abgekürzt als c c c in CIL VI 2193 = VIL VI 4416 überliefert ist, wird von Groten mit guten Argumenten (und ausführlicher Diskussion der bisherigen Literaturmeinungen) als Erlaubnis sich zu versammeln (coire), förmlich zusammenzutreten und Beschlüsse zu fassen (convenire) sowie Vermögensbeiträge zu leisten (conferre) gedeutet.

Das im Untertitel des Werkes angesprochene Gesellschaftsrecht wird leider äußerst knapp (S. 344-347) und eher apodiktisch abgehandelt. Zum Problem, auf welche societates sich das Gaiusfragment D. 3.4.1 bezieht (Berufsverbände? societates vectigalium? allgemein Erwerbsgesellschaften?), entscheidet sich Groten für die naheligende Variante der Publikanengesellschaften. Einen belastbaren Beleg dafür, dass diese «zur Anerkennung ihrer Einheit im Recht einer Genehmigung» bedurft hätten (S. 347), liefert der Autor aber nicht, es sei denn, man leite diesen gewissermaßen zirkelschlussartig aus D. 3.4.1 selbst ab. Richtig ist, dass für die Steuerpächtergesellschaften jene Elemente (res communes, arca communis, actor) belegbar sind, die auch für die corpus aufweisenden Verbände typisch sind; zumindest missverständlich ist es, wenn man dies als «für die Gesellschaft auch aus klassischer Zeit überliefert» (S. 347) behauptet, da diese Belege sich größter Wahrscheinlichkeit nach eben nur auf die societates publicanorum und nicht auf andere auf Gewinn ausgerichtete Gesellschaftsverträge bezogen (vgl dazu F. S. Meissel, FS Sirks 2014, 513-531).

Positiv besonders hervorzuheben sind der stets gepflegte Sprach- und Argumentationsstil und die leserfreundliche Integration der diskutierten Quellen (samt Übersetzung) in dem mit dem prestigereichen Boulvert-Preis ausgezeichneten Werk.