Corpus und universitas –
Rezension Groten *
Franz
Stefan Meissel
Universitätsprofessor
für Römisches Recht
an
der Universität Wien
Vize-Dekan
der Rechtswissenschaftlichen Fakultät
Direktor
der Sommerhochschule der Universität Wien
*
Andreas Groten, corpus und universitas.
Römisches Körperschafts- und Gesellschaftsrecht: zwischen griechischer
Philosophie und römischer Politik, Mohr Siebeck Tübingen 2015, 477 S. –
ISBN 978-3-16-153316-7
Wie der Titel schon
andeutet, vereinigt Groten in seiner unter der Betreuung von Martin Avenarius
an der Universität zu Köln entstandenen Dissertation mehrere Perspektiven. Zum
einen geht es ihm darum, anhand der Begriffe corpus habere und universitas
der Frage nachzugehen, welche Ansätze körperschaftlicher Ausgestaltung von
Personenverbänden im römischen Recht zu finden sind. Die zentrale Passage des
Gaius aus dessen Kommentierung des Provinzialedikts (D. 3.4.1) wird daher
mehrfach ausgewertet (zunächst in einem ersten Exposé, S. 34-47, dann zum corpus habere, S. 153-162, sowie zur Konzession des corpus habere, S. 205 f, mit einer ausführlichen historischen
Darlegung der dokumentierten Rechtsgrundlagen zur Genehmigung von
Personenverbänden, S. 206-314).
Ein eigener Abschnitt
ist der Entwicklung des universitas-Begriffs
(S. 47-72) gewidmet, in dem die Einführung des Begriffs durch Cicero, der
„technische Gebrauch“ des Begriffs in der Landvermessung und die von dort
ausgehende Verbreitung des Begriffs in der juristischen Literatur beschrieben
wird. Dabei geht Groten von einer Entwicklung von einem untechnischen Begriff,
der auf diverse Einheiten, die aus unterschiedlichen (teilbaren) Teilen
bestehen, bezogen werden kann (vom Weltall bis zum geschuldeten Gesamtwerk bei
der locatio conductio operis im
Gegensatz zu den Tagewerken) hin zu einer bereits technischeren Bedeutung bei
den Agrimensoren und dann einer juristisch-technischen Konnotation im Recht der
Personenverbände aus, wobei er betont, dass universitas
im klassischen Recht sich nur auf solche Personenverbände bezogen habe, die
«der Sphäre des öffentlichen Rechts zuzuordnen sind» (S. 71).
Richtig ist, dass sich
die Quellen überwiegend auf den römischen Staatsverband oder aber Munizipien
beziehen (vgl insbes Ulpian D. 3.4.7). Anzumerken ist, dass in den Schriften
zur Feldmesskunst universitas zwar
möglicherweise erstmals in einem juristischen Kontext vorkommt, von einem
„technischen Gebrauch“ ist dabei aber nicht wirklich auszugehen. Was universitas bedeutet, ergibt sich
jeweils aus dem Zusammenhang, eine darüber hinaus gehende begriffliche
Verdichtung ist hier noch nicht feststellbar, weshalb eine solche auch nicht in
der juristischen Literatur rezipiert werden konnte.
Ein zentrales Interesse
des Autors ist auf die Frage des Einflusses unterschiedlicher Strömungen der
griechischen Philosophie auf die Entwicklung des corpus- bzw universitas-Begriffs
gerichtet. Dementsprechend wird bereits im einleitenden Kapitel, das den Stand
der Forschung wiedergibt, auf die verschiedenen philosophischen Richtungen (die
stoische, die akademisch-peripatetische, die epikureische sowie die skeptische
Philosophie) und die diesen in der bisherigen Literatur zugewiesenen Einflüsse
eingegangen. Ein ausführliches Kapitel ist der stoischen Vorstellung der
Körperlichkeit in der soma-Lehre gewidmet
(S. 77-146) und dessen behaupteter Rezeption in den Juristenschriften beim
Begriff des corpus ex distantibus und
des corpus habere bei den
Personenverbänden (S. 147-162) gewidmet. Dass die stoische Körperlehre (in der
Ausprägung der „mittleren Stoa“ wie Groten ganz plausibel herausarbeitet) auf
die sachenrechtliche Vorstellung der corpora
ex distantibus eingewirkt haben dürfte, ist keine ganz neue Idee, die
unterschiedlichen Lehren zur Körperlichkeit und die dialektische
Auseinandersetzung der stoischen Philosophen mit den Einwänden der
skeptisch-akademischen Richtungen werden von Groten aber sehr anschaulich und
quellennahe rekonstruiert. Als stoische Kernvorstellung bezüglich der
Gesamtkörper betont Groten, dass die Einzelkörper als solche bestehen bleiben
und sie lediglich auf eine bestimmte, ihnen in ihrer Gesamtheit zukommende
Beschaffenheit zu einem einheitlichen Gesamtkörper verbunden erscheinen bzw als
ein solcher erkennbar sind (S. 132).
Dass die Vorstellung des
corpus ex distantibus von den
römischen Juristen auch auf Personengruppen (ich würde hier noch nicht zwingend
von „Personenverbänden“ sprechen) angewandt wurde (dazu Groten 149 f), belegen
Ulpian D. 50.16.195.2, wo die familia
mit einem corpus verglichen wird oder
die Zusammenfassung von colliberti,
die gemeinsam ein Legat erhalten haben als corpus
bei Scaevola D. 32.38.5. Gerade diese Beispiele zeigen aber, dass corpus habere nicht zwingend eine
technische Bedeutung iSv „Körperschaft“ oder gar „juristischer Person“ haben
muss, sondern lediglich ausdrückt, dass im Hinblick auf bestimmte (hier
rechtliche) Bande mehrere Personen als Gruppe bzw Gesamtkörper betrachtet
werden können.
Eigene Abschnitte
behandeln schließlich die rechtliche Ausgestaltung von Personenverbänden (S.
315-348) sowie die Veränderung des Rechtszustandes durch die „iustinianische
Kodifikation“ (S. 349-356). Ein kurzer Abschnitt zur Modellfunktion der
Gemeinde für das Recht der Personenverbände führt dann zurück in die vermutete
„älteste Schicht“ der Quellen.
Im Schlusskapitel wird
die „Entwicklung des Rechts der Personenverbände“ (S. 363-369) in fünf
Entwicklungsstufen zusammengefasst: Die früheste rechtliche Konstruktion
privater Personenverbände durch „analoge Übertragung der Strukturen öffentlich
organisierter Personenverbände“ datiert Groten «spätestens auf das dritte
Jahrhundert vor Christus» (S. 363). Ohne tiefere theoretische Durchdringung sei
hier bereits eine Innenorganisation mit Repräsentation der Mitglieder nach
außen durch magistri sowie das
Vorhandensein eines «an die Gemeinschaft gebundenen Vermögens» zu beobachten.
In der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor Christus sei dann unter
griechischem, vor allem stoischen Einfluss eine Vorstellung des corpus als Einheit von Einzelteilen, die
zu einem Gesamtkörper verbunden sind, entstanden, die dann zu Ciceros Zeit zur
Auffassung des Personenverbandes als «durch Rechtsverhältnis oder
Pflichtenbindung zu einem Gesamtkörper verbundener Einheit» (S. 365) geführt
habe, der als solcher rechts- und handlungsfähig gewesen sei. Diese Vorstellung
eines Gesamtkörpers als ontologische Tatsache sei dann aber unter
akademisch-skeptischen Einfluss als bloß begriffliche Kategorie aufgefasst
worden, weshalb die konstitutive Bedeutung der staatlichen Genehmigung für die Einheit
des Personenverbandes hervorgetreten sei (S. 367). Für dieses Stadium nimmt
Groten – in der Gefolgschaft von Behrends – an, dass sich der Begriff der universitas da zu einer abstrakten
Konstruktion «unter einem Begriff (nomen)»
verdichtet habe. Ab der Regierungszeit der Severer sei es dann zur Vorstellung
eines ius corporis als Summe der
Rechtspositionen der wirtschaftlichen Verbände gekommen. Im justinianischen
Recht schließlich bildet sich ein erweiterter Begriff der universitas, unter dem alle Personenverbände, sei es öffentlicher,
sei es privater Natur, zusammen erfasst worden seien. Eine ausführliche italienischsprachige
Synthese (S. 371-388) und die üblichen Register komplettieren das Werk.
Wie der Inhaltswidergabe
bereits zu entnehmen ist, geht es Groten um das Nachzeichnen (angeblicher)
konzeptioneller und terminologischer Entwicklungen im Recht der
Personenverbände. Der Spärlichkeit der Überlieferung steht eine Neigung des
Autors zur intuitiven Erkenntnis unterschiedlicher philosophischer Strömungen
gegenüber, eine Neigung, die auch in der bisherigen Literatur schon stark
verbreitet war. Ein Angelpunkt der Diskussion ist dabei die Frage, ob die bei
Gaius für Personenverbände anzutreffende Bezeichnung universitas eine technische Bedeutung hat oder ob dieser Begriff,
der ja auf verschiedenste „Einheiten“ angewandt wird (vom All über
zusammenhängende Grundstücke bis hin zu Munizipien als Personenverbänden) je
nach Kontext Unterschiedliches meint und aus diesem Begriff allein noch keine
Schlüsse über die Konzeption von Personenverbänden durch die römischen Juristen
gewonnen werden kann. Die zu Letzterem tendierende heute wohl herrschende
Auffassung, der auch der Rezensent zuneigt, wird von Groten bekämpft, seine
Beweisführung beruht aber über weite Strecken auf bloßen Überzeugungen und
Behauptungen. Selbst wenn die Vorstellung der aus getrennten Sachen gebildeten
Gesamtkörper in der stoischen Lehre des Chrysippos auch auf Personengruppen
(Chor, Legion, Gemeinde) angewandt wurde, so ist daraus über die eigenständige
Handlungsfähigkeit solcher Gesamtkörper noch nichts gesagt. Dass Ulpian D.
50.16.195.2 die Familie als Beispiel eines corpus
(ex distantibus) anführt, spricht
dafür, dass solche „Personen-Verbindungen“ keinesfalls zwingend mit der
Vorstellung einer juristischen Person verknüpft sind. Auch dass die
Vereinigungen, die einen Körper haben, „eigenes“ Vermögen haben können (vgl
Groten S. 323), lesen wir bei Gaius so nicht: Dort ist von res communes und einer arca
communis die Rede, dies spricht doch eher für die Vorstellung von
Miteigentum der der Vereinigung angehörenden Mitglieder.
Gerade die von Groten
sehr ausführlich nachgezeichnete stoische Auffassung der Gesamtkörper (corpora ex distantibus) zeigt, dass hier
dieselben Teile – je nach Kontext und Perspektive – einmal als Teile und dann
auch als Gesamtheit betrachtet werden. Das mag zur sich entwickelnden
Vorstellung einer „Körperlichkeit“ (und Ansätzen eines Körperschaftscharakters)
beigetragen haben; letztere müsste aber auch aus den juristischen Quellen
belegbar sein und lässt sich nicht aus einem philosophischen Ansatz allein
extrapolieren. Auch die scharfsinnige Analyse des Begriffs corpus bzw der Wendung corpus
habere bei Gaius D. 3.4.1 durch Groten (S. 147 ff) sowie die
Hochstilisierung von nomen universitatis
zu einem technischen Körperschafts-„Begriff“ (dazu bereits kritisch J.
Platschek, Zeitschrift für die gesamte Handelsrechtswissenschaft 181 (2017)
4-6), erscheint letztlich überzeichnet: Meines Erachtens ist der Gaiustext vor
dem Hintergrund einer durchaus ambivalenten Verwendung von corpus zu lesen; zwar stimme ich Groten darin zu, dass corpus habere eine gewisse einheitliche
Betrachtungsweise der von Gaius behandelten Personenverbände suggeriert und
damit auf eine Eigenschaft hinweist, die diesen Verbänden gemein ist; zugleich
aber wird corpus (hier wie auch sonst
in antiken Quellen) wohl auch synonym mit anderen Bezeichnungen von corpora wie collegium und societas
verwendet (so mE im Principium von D 3.4.1 bei huiusmodi corpus).
Die von Groten
angenommene schon weit entwickelte Vorstellung eines Verbandscharakters von
Personenvereinigungen in der späten Republik, die dann unter
„skeptisch-akademischer Kritik“ zurückgedrängt worden sei, erscheint mir aus
den Quellen nicht beweisbar. Auch die Deutung von collegia Romae certa sunt in D 3.4.1.4 als Verbände, die durch die
rechtliche Anerkennung zu einem corpus
certum (und damit rechts- und handlungsfähig) wurden, ist zwar originell,
überzeugt aber letztlich nicht. Zwar ist Groten zuzugeben, dass der umgekehrte
Begriff des corpus incertum zB in Ps.
Ulp. 22.5. verwendet wird, um die mangelnde Erbfähigkeit eines municipium zu begründen (S. 164); dies
hängt aber gerade nicht mit der Frage der rechtlichen Anerkennung (diese fehlt
den municipia wohl nicht), sondern
mit der Unbestimmtheit ihrer Zusammensetzung aufgrund der wechselnden
Zugehörigkeit einzelner Gemeindemitglieder zusammen. Wenn dann berichtet wird,
dass durch Senatsbeschluss Gemeinden zugestanden wurde, durch ihre
Freigelassenen zu Erben eingesetzt zu werden, so ändert dies nichts an der
Unbestimmtheit im strengen Sinn, bildet aber eine Rechtsgrundlage, um vom
Bestimmtheitserfordernis (der als Erben Eingesetzten) ausnahmsweise abzusehen.
Einen eigenen, beinahe
monographischen Abschnitt, widmet Groten dem Erfordernis der Genehmigung der
Vereinsgründung (S. 205-314). Hier findet sich unter anderem eine lesenswerte
eigenständige Auseinandersetzung mit dem SC
de Bacchanalibus (S. 208-235) sowie eine vorzügliche Darstellung der
Vereinspolitik des Augustus und der lex
Iulia de collegiis (S. 241-305). Den Inhalt der Genehmigung, der
epigraphisch abgekürzt als c c c in
CIL VI 2193 = VIL VI 4416 überliefert ist, wird von Groten mit guten Argumenten
(und ausführlicher Diskussion der bisherigen Literaturmeinungen) als Erlaubnis
sich zu versammeln (coire), förmlich
zusammenzutreten und Beschlüsse zu fassen (convenire)
sowie Vermögensbeiträge zu leisten (conferre)
gedeutet.
Das im Untertitel des
Werkes angesprochene Gesellschaftsrecht wird leider äußerst knapp (S. 344-347)
und eher apodiktisch abgehandelt. Zum Problem, auf welche societates sich das Gaiusfragment D. 3.4.1 bezieht (Berufsverbände?
societates vectigalium? allgemein
Erwerbsgesellschaften?), entscheidet sich Groten für die naheligende Variante
der Publikanengesellschaften. Einen belastbaren Beleg dafür, dass diese «zur
Anerkennung ihrer Einheit im Recht einer Genehmigung» bedurft hätten (S. 347),
liefert der Autor aber nicht, es sei denn, man leite diesen gewissermaßen
zirkelschlussartig aus D. 3.4.1 selbst ab. Richtig ist, dass für die
Steuerpächtergesellschaften jene Elemente (res
communes, arca communis, actor) belegbar sind, die auch für die corpus aufweisenden Verbände typisch
sind; zumindest missverständlich ist es, wenn man dies als «für die
Gesellschaft auch aus klassischer Zeit überliefert» (S. 347) behauptet, da
diese Belege sich größter Wahrscheinlichkeit nach eben nur auf die societates publicanorum und nicht auf
andere auf Gewinn ausgerichtete Gesellschaftsverträge bezogen (vgl dazu F. S.
Meissel, FS Sirks 2014, 513-531).
Positiv besonders
hervorzuheben sind der stets gepflegte Sprach- und Argumentationsstil und die
leserfreundliche Integration der diskutierten Quellen (samt Übersetzung) in dem
mit dem prestigereichen Boulvert-Preis ausgezeichneten Werk.