Le Dodici Tavole. Dai decemviri agli Umanisti
Pavia, 13-31 gennaio
2003
Vom 13. – 31. Januar 2003 fand unter der
organisatorischen Leitung des "Centro di studi e ricerche sui diritti
antichi" (CEDANT) zum ersten Mal das Collegio di Diritto Romano in
Pavia statt. In
dem dreiwöchigen Vertiefungskurs für Romanisten, Historiker und
Sprachwissenschaftler wurden die XII Tafeln behandelt.
In Pavia wurde ein neues
didaktisches Konzept der Vermittlung römischrechtlicher Kenntnisse geboren.
Nach zwei Jahren reiflicher Überlegungen, Planung und Fundraising, entstand ein
neues Modell der postakademischen Fortbildung auf internationaler Ebene. In
kurzer Zeit werden sicher alle europäischen Romanisten mit dem Kürzel CEDANT,
das "Centro di studi e ricerche sui diritti antichi" verbinden.
Dieses neugegründete Institut ist eingebettet in das Istituto Universitario di Studi
Superiori (I.U.S.S.), und wird unterstützt durch mehrere italienische
Universitäten und weitere Stiftungen. Prof. Dario Mantovani und
andere Kollegen aus Pavia erklärten sich zur Durchführung dieser Idee bereit.
Sitz des CEDANT ist das Collegio Borromeo in Pavia.
Der wissenschaftliche Rat
der Einrichtung ist international besetzt. Von Paris über München bis Catanzaro
sind zahlreiche Professoren des römischen Rechts in ihm vertreten[1].
Bei diesem wissenschaftlichen Rat lag auch die Gründungsinitiative. Die erste
Aktivität trug den Namen Collegio di Diritto Romano und war den
XII Tafeln gewidmet. An 15 Studientagen im Januar 2003 sollten sich 11
Professoren und 15 Stipendiaten in 21 Lehrveranstaltungen von je drei Stunden
mit dem Gesetzeswerk der Zehnmänner auseinandersetzen.
Die abrundende Veranstaltung zur Erstellung der Publikation soll im September
2003, wieder in Pavia, stattfinden.
Die Ausschreibung zum Collegio di Diritto Romano
fand im Herbst 2002 statt. Aus mehr als 70 europaweiten Bewerbungen wurden
fünfzehn Kandidaten ausgewählt. Diese Stipendiaten, aus sechs verschiedenen
Ländern (Italien, Spanien, Niederlande, Polen, Ungarn und Frankreich), durften
die Gastfreundschaft und die hervorragenden Studienbedingungen des CEDANT im
Collegio Borromeo in Pavia genießen. Die Teilnehmer standen alle schon fest im
Beruf. Einige hatten Jahre zuvor bereits in Rom den Corso di Perfezionamento
in Diritto Romano absolviert. Auch für ausländische Forscher ist und bleibt
Italien eben doch die Quelle des römischrechtlichen Wissens.
Die Rolle des örtlichen Gastherrn übernahm Professor Dario
Matovani (Pavia) auf herzliche Weise. Die wissenschaftliche Leitung oblag
Professor Michel Humbert (Paris II). Dieser hielt die
Einführungsvorlesung und vier weitere grundlegende Seminare; darüber hinaus
moderierte er die gesamte Veranstaltung. Die drei Wochen verbrachte er mit den
Stipendiaten und stand immer als Ansprechpartner zur Verfügung.
Die vielfältige Sichtweise auf die XII Tafeln, die Zehnmänner und das gesamte 5. Jahrhundert vor Christus ließ die Zeit wie im Fluge vergehen. Die täglichen Veranstaltungen bestanden aus einem etwa zweistündigen Vortrag und einer anschließenden einstündigen Diskussion aller Teilnehmer. Das Programm des Kurses war genau ausgearbeitet, und um allen Aspekten der Materie gerecht zu werden, wurden sowohl die Vormittage als auch die Nachmittage zum gemeinsamen Studium genutzt.
Zur Vorbereitung war allen Teilnehmer zuvor schon eine
umfassende Literaturliste zugegangen. Als Grundlage der Lehrveranstaltung
diente die Rekonstruktion der XII Tafeln in den Fontes Iuris Romani
Antejustiniani (FIRA) I, «Leges regiae e Lex duodecim tabularum, p 3 – 75»
(Hg. S. Riccobono) Florenz 1941.
Gleich am
ersten Tag nahm Professor Humbert die Zuhörer mit zurück in die
vergangene Welt der Zehnmänner. Die XII Tafelgesetzgebung wurde von Prozessrecht
aus betrachtet. Verschiedene Hypothesen über die Arbeitsweise und
Zusammensetzung der Zehnmänner beherrschten Vortrag und Diskussion
Professor Gabba (Pavia) übernahm die Aufgabe in
die politischen und wirtschaftlichen Umstände des 5. Jahrhunderts einzuführen.
Im Mittelpunkt stand die Frage nach der Gesellschaft, die das berühmte
Gesetzeswerk umgab. In dem schwierigen, krisengeschüttelten 5. Jahrhundert
begann langsam ein wirtschaftlicher Aufschwung. Die erstärkende Rolle des
Militärs war daran maßgeblich beteiligt. Das Militär erhielt eine Struktur und
die gezahlten Löhne brachten wirtschaftliche Sicherheit in die agrarische
Gesellschaft, die sonst den Winter über von den Ersparnissen zehren musste.
Professor Diliberto ließ seine politischen
Pflichten in Rom hinter sich, um mit den
Teilnehmern den Urtext der XII Tafeln gedanklich zu erstellen. So erinnerte er,
dass H. E. Dirksen einer der ersten war, der auf wissenschaftlich fundierte
Weise die XII Tafeln zusammenstellte (H.E. Dirksen, Übersicht der bisherigen
Versuche zur Kritik und Herstellung des Textes der Zwölf-Tafeln-Fragmente,
Leipzig, 1824). Auch in anderen Ländern, besonders in den vergangenen zehn
Jahren, wurden Rekonstruktionen versucht, so unter anderen in Russland, Ungarn,
England, in der Ukraine, und sogar in China. Besonderer Vorliebe der Zuhörer
erfreute sich jene Rekonstruktionsversion der XII Tafeln, die von Prof. Diliberto
mit dem Namen «Dominoeffekt» bedacht wurde. Wie in einem Dominospiel, wo immer
eine Seite des Dominosteines einer anderen Dominosteinseite entsprechen muss,
wird auch Argument an passendes Argument gereiht. So zu sagen ein
Adhäsionsprinzip, das auf Grund einer Assoziationsvermutung zu einer Sequenz
führt. Die Themen folgen aufeinander und bauen auf einander auf. Durch den
Dominoeffekt entsteht auf eigene Weise eine organische Reihung.
Als Ergebnis der zwei Studientage zur Rekonstruktion kann
festgehalten werden, dass sich ein einzelnes Rekonstruktionskriterium nur
selten als ausreichend ergibt. Erst die Kombination verschiedener Methoden
lässt ein Ganzes entstehen.
Die schwierige Aufgabe die Teilnehmer mit der
Terminologie aus den Jahrhunderten vor der XII Tafelgesetzgebung vertraut zu
machen, übernahm Prof. Dieter Nörr aus München. Aus der Vorzeit
der XII Tafeln lassen sich Verträge, Testamente und andere Dokumente
zurückfinden. Eine besonders hervorgehobene Stellung kam dem Handelsverkehr zu.
Aus den vorhandenen Dokumenten, z.B. aus Ugarit, lassen sich Gesetze und
Gewohnheiten vermuten. Allerdings sind nicht alle Überlieferungen auf originale
Funde aus der jeweiligen Zeit zurückzuführen. Einiges lässt sich nur auf Grund
anderer Quellen rekonstruieren. So überlieferte Polybios alte Texte in
Zitatform. Prof. Nörr machte die Teilnehmer mit einem anderen,
grenzüberschreitenden Handelskonzept, als unserem heutigen vertraut. Der Handel
in der Vorzeit der XII Tafeln war Staatsangelegenheit und der Staat garantierte
auch den Vollzug der Transaktion. So waren besonders die reisenden Kaufleute
mehr Botschafter ihres Heimatlandes, dann reine Geschäftsleute. Hier sieht man,
dass die Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht, den Juristen der
Antike in unserer heutigen Form nicht bekannt war.
Als Ergänzung und Fortsetzung der Vorlesungen zur
juristischen Terminologie brachte Prof. Lotito einen interdisziplinären
Ansatz in das Forschungskolloqium des XII Tafel Kurses. Als eher nüchterner
Sprachwissenschaftler vertrat er die Sichtweise von Seiten der römischen
Literatur. Kritisch erläuterte er die überlieferten archaischen Fragmente. In
seiner Einführung in die Epistomologie des 5. Jahrhunderts vor Christus, wies
er darauf hin, dass es im Vergleichszeitraum zur XII Tafelgesetzgebung auch
weitere uns überlieferte Literatur gäbe. Als ein Stilmittel der Zeit galt es
Quellen so wiederzugeben, dass der Eindruck erweckt wurde, der Autor habe sie
direkt vor Augen. Eine Quelle wurde also immer so behandelt, als sei sie noch
zugänglich, auch wenn sie eventuell schon seit Jahrhunderten nicht mehr
zugänglich war. Abgesehen von der Rekonstruktion des Gesamtwerkes behandelte er
auch die Sequenz eines einzelnen Fragments. Als Beispiel wurde der berühmte
Eingangssatz der XII Tafeln gewählt. Er wies daraufhin, dass die Überlieferungen
im Regelfall weder vollständig noch ausgeschrieben waren.
Heute sind die Romanisten so vertraut mit der Wiedergabe
von «Si in ius vocat, ...». Aber ursprünglich las sich der Text mehr
als: «vocationitantestamin». Die heute Fassung ist maßgeblich auf die
Rekonstruktionsversuche von Schoell zurückzuführen und keinesfalls
unzweifelhaft, wenn auch sehr verdienstvoll. Heindorf wiederum fügte das «t»
ein, welches aus io ein ito machte, in dem langen Fragment der «vocationitantestamin». Mommsen dagegen
fand das ito keineswegs überzeugend und sprach sich für ein ni it aus, als Versuch einer
Rekonstruktion des «vocationitantestamin».
An diesen wenigen Beispielen sieht man welche Sensibilität der Umgang mit
antiken Fragmenten verlangt.
Ein nächster Teil war dem römischen Nachfolgerecht unter
der Leitung von Prof. Thomas (Paris) gewidmet. Im Mittelpunkt der
Diskussion stand die Auslegung der Bedeutung von «suus heres». Anhand
von Quellen aus den Digesten und den Gaius Institutionen wurden die
verschiedenen Auffassungen über den Erben eines pater familias
diskutiert. Prof. Thomas legte dar, dass der begriff suus im Zeitalter
der Zehnmänner unverbrüchlich an das Konzept der patria potestas
gebunden ist. Suus bezog sich somit nur auf diejenigen, die sich unter
der potestas morientis befanden. Im Zusammenhang mit der Stellung der
Erben wurden anschließend die Begriffe proximus und adgnatus
analysiert.
Prof. Talamanca (Rom) widmete sich Detailproblemen
der Rechtsgeschäftslehre. So ist es bis heute in Textstellen, wie Tafel VI.1
schwierig auszulegen, ob es sich mehr um Haftungsverhältnisse, oder eher um
vertragliche Beziehungen handelte. Intensiv wurde diskutiert, wie die
Textstelle der VI Tafel auszulegen ist: «CUM NEXUM FACIET MANCIPIUMQUE, UTI
LINGUA NUNCUPASSIT; ITA IUS ESTO». Das Zusammenspiel von nexum und mancipium
beschäftigte die Teilnehmer auch noch in einer weiteren Veranstaltung, die
wiederum von Prof. Humbert geleitet wurde. Das Begriffspaar mancipium
und mancipatio wurde erläutert nach den Überlieferungen bei Livius und Plinius.
Das nexum dagegen, dass eine archaische Form eines Garantiegeschäftes
darstellt, erinnert an das mutuum, welches aber erst ab dem dritten
vorchristlichen Jahrhundert nachweisbar ist. Begriffe und dahinterstehende
Konzepte beschäftigen die Gruppe auch in der folgenden Veranstaltung.
Usus
und auctoritas
Das Zusammenspiel von usus und auctoritas als
definitivem Titel des Erwerbers forderte die Konzentration der Teilnehmer. Das
Textfragment der Tafel VI, 3 stand im Mittelpunkt der Überlegungen. Cicero, top.
4.23 überliefert uns: usus auctoritas fundi biennium est, ... ceterarum
rerum omnium ... annuus est usus. Diese Stelle lässt sich auf verschiedene
Weise übersetzen, was wiederum zu unterschiedlichen juristischen Lösungen
führt.
Prof. Nicosia (Catania) ging unter anderem auf den
Begriff ius ein. Der Term ius wurde nicht einer seiner heutigen
Form geboren. Unsere heutige Sichtweise auf Recht im objektiven und subjektiven
Sinne war der antiken Welt fremd. Der Term ius wurde zunächst mehr
prozessual verwendet. Darüber hinaus wurde mit ius auch der Ort
bezeichnet, an dem Recht gesprochen wurde.
Eine spannende Vorlesung hielt Prof. Santalucia
(Florenz). Anhand von Rekonstruktionszeichnungen des archaischen Königspalastes
in Rom, führte er in den Wirkungsort der römischen Könige ein. Aus diesen
Ausgrabungsfunden lässt sich ein bescheidener Königspalast an dem Ort des lapis
niger rekonstruieren. Dieser Palast war ein Gebäude mit einem sakralen
Charakter. Der Königspalast reflektiert die Verflochtenheit von Staat und
Religion. Auch der König selber nahm eine religiöse Position innerhalb der Gesellschaft
ein. Der König war ausgestattet mit politischer Macht und priesterlicher Würde.
In der zweiten Vorlesung von Prof. Santalucia stand der Diebstahl (furtum)
und die Unterscheidung zu iniuria im Mittelpunkt.
Professor Ferrary (Paris) führte in
die reiche Geschichte der Palingenesie der XII Tafeln ein. Als Historiker und
klassischer Philologe eröffnete er den Teilnehmern einen bisher unbekannten
Zugang zu den Veröffentlichungen von Rekonstruktionen der Fragmente. Im Mittelpunkt
standen dieses Mal die Werke des 16. bis 19. Jahrhunderts.
Drei „kurze“ Wochen
Die Abschlussveranstaltung des ersten
CEDANT Kurses hielt Prof. Gabba. Die Überlieferungen der drei
übriggebliebenen Bücher De legibus von Cicero und ihr vielfältiger Bezug
auf die XII Tafeln wurde diskutiert. Gemeinsam spekulierten die Teilnehmer über
den Inhalt der fehlenden Bücher dieses Werkes. Cicero projiziert die
Textstellen der XII Tafeln gekonnt in den Kontext der politischen Geschehnisse
seiner Zeit.
Viel zu schnell waren die drei Wochen
vorbeigegangen. Die Ergebnisse des ersten Collegio di Diritto Romano
werden gegen Ende des Jahres veröffentlicht werden. Geplant ist ein
zweibändiges Werk. Im ersten Band werden die Vorlesungen der Dozenten zu finden
sein. Der zweite Band wird die Studien zu den zwölf Tafeln der Stipendiaten
umfassen.
Aus der Sicht der Teilnehmer war das erste Collegio
di Diritto Romano eine äußerst gelungene Veranstaltung. Die Atmosphäre der
Universitätsstadt Pavia, besonders des altehrwürdigen Collegio Borromeo und die
Intensität der Auseinandersetzung mit der Materie erinnerten an die Zeiten, in
denen Studenten aus ganz Europa nach Italien zum Studium zogen. Diese Idee von
intensivem Lernen, Lehren und Reflektieren ist in dieser Weise sicher
einzigartig in der Welt. Den Organisatoren und Initiatoren ist zu gratulieren.
Sie haben etwas Neues geschaffen, das nach Tradition verlangt. Aus
nordeuropäischer Sicht ist die Beschäftigung allein mit dem Römischen Recht ein
Luxus, der an keiner Universität in Deutschland, den Niederlanden und
Österreich in der Zukunft mehr zu finden sein wird. Daher werden sicher immer
wieder Interessierte aus diesen Ländern zum Studium nach Italien ziehen.
Nordeuropäern stellt sich daher die Frage, ob das CEDANT nicht eventuell auch
Bereiche behandeln sollte, die das Römische Recht in seiner späteren
Überlieferung und aus historisch-rechtsvergleichender Sicht behandeln.
In den kommenden Jahren werden hoffentlich
auch Themen behandelt werden, die sich mit der Rezeption des römischen Rechts
im Mittelalter und seiner Lehre an norditalienischen Universitäten beschäftigt,
dem Studium der Glossen, den Gaius Institutionen, samt Besichtigung des
Palimpsestes, oder generellen privatrechtlichen Themen, die auch die Diskussion
in Europa beherrschen. Zu denken wäre hier z.B. an die Lex Rhodia de iactu,
das Kaufrecht im allgemeinen und andere Vertragstypen.
Das Thema der folgenden Veranstaltung steht
bereits fest. Im kommenden Jahr wird sich das Collegio di Diritto Romano den
«Statuti Municipali» widmen.
Universität Utrecht