N. 3 – Maggio 2004 – Memorie

 

 

 

Rudolf Hoke

Universität Wien

 

 

 

 

DER ÖSTERREICHISCHER FÖDERALISMUS

 

 

 

 

 

 

«Österreich ist ein Bundesstaat» - so lautet Art. 1 Abs. 1 des Österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) von 1920, das in der Fassung des Jahres 1929, seitdem allerdings vielfach novelliert, auch heute das Stammgesetz[1] des Bundesverfassungsrechts der Republik Osterreich ist[2]. Und Art. 1 Abs. 2 B-VG 1920 i.d.F. 1929 fahrt fort: «Der Bundesstaat wird gebi1det aus den selbständigen Ländern: Burgenland, Kärnten Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg, Wien».

Die Mehrzahl dieser neun österreichischen Bundesländer unseres Jahrhunderts waren bereits im Mittelalter eigene Herrschaftsbereiche, deren mittelalterliche Grenzen - und nicht zuletzt dadurch unterscheiden sie sich von den Ländern der heutigen Bundesrepublik Deutschland - nahezu unverändert bis in die Gegenwart erhalten blieben. Sie waren Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation des Mittelalters und der Neuzeit[3]. Und ebenfalls bereits im Mittelalter war zwischen dieser Mehrzahl der heutigen österreichischen Bundesländer eine dynastisch-staatliche Verbindung geknüpft worden. Noch bevor die Habsburger Herrschaftsrechte auf dem Boden des heutigen Osterreich ausübten, hatten ihre Vorgänger ais Herrscher des Herzogtums Osterreichs, des heutigen Niederösterreich, die Babenberger, 1192 auch die Herzogswürde in der Steiermark erlangt. Wie das Herzogtum Osterreich so war auch das Herzogtum Steiermark kurz davor aus einer Markgrafschaft im Verbande des Stammesherzogtums Bayern hervorgegangen, und wie Osterreich hatte seitdem auch die Steiermark ais ein eigenes Territorialherzogtum den Status eines Reichsfürstentums im Verbande des Heiligen Römischen Reiches. Die Herrschaft über Osterreich und die Steiermark ging, nachdem die Dynastie der Babenberger im Mannesstamm ausgestorben war, auf die Habsburger über.

Kurz davor hatte der König von Böhmen Ottokar Premysl, als er vorübergehend über die Länder der ausgestorbenen Babenberger herrschte, aus einem Teil der alten Steiermark einen Verwaltungssprengel herausgelöst, der sich später zu einem eigenen Herzogtum entwickelte, das seitdem, zuerst mit dem Namen Österreich ob der Enns, d.h. oberhalb des Grenzflusses Enns, heute als Oberösterreich, neben Österreich unter der Enns, dem heutigen Niederösterreich, als eigenes Land besteht.

Der erste deutsche König aus der Dynastie der Habsburger, Rudolf I., belehnte 1282 seine beiden Söhne zu gesamter Hand mit den Reichslehen Österreich und Steiermark. Schon in der nächsten Generation gelang es den Habsburgern, mit der Herrschaft über Österreich und Steiermark auch diejenige über Kärnten zu verbinden. Auch Kärnten war damals ein Territorialherzogtum innerhalb des Heiligen Römischen Reiches, mit dem der deutsche König und Römische Kaiser 1335 wieder zwei habsburgische Brüder zu gesamter Hand belehnte. Und die übernächste Generation der Habsburger erhielt von der Erbin der Grafen von Tirol den von diesen im Alpengebiet vereinigten und nach ihnen eben Tirol benannten Herrschaftsbereich 1363 geschenkt, mit dem sie der deutsche König und Römische Kaiser im Jahr darauf auch förmlich belehnte. Abkömmlingen einer Grafenfamilie, die im Süden des Stammesherzogtums Schwaben Herrschaftsrechte innegehabt hatte, kauften die Habsburger diese seit dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts sukzessive ab und formten daraus später das eigene Land Vorarlberg.

Alle genannten Länder, zusammen mit den habsburgischen Stammbesitzungen in der Schweiz, im Elsass im Südwesten Deutschlands sowie mit den Ländern der Wenzelskrone, über die die Habsburger seit 1526 als Könige von Böhmen herrschten, bildeten in der Neuzeit insofern eine Einheit, als es sich bei ihnen um die Länder des Hauses Osterreich, d.h. der Dynastie Habsburg, handelte[4].  Dazu kamen noch, seit ebenfalls 1526 die Habsburger Könige von Ungarn waren, die Länder der Stefanskrone, wobei diese sich jedoch, im Unterschied zu den vorgenannten Ländern, außerhalb des Verbandes des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation befanden. Jedes der habsburgischen Königreiche und Länder hatte seit dem Mittelalter eigene Stande und einen eigenen Landtag, die im Zeitalter des sogen. ständischen Dualismus neben dem habsburgischen Landesherrn Mitbestim­mungsrechte im Lande ausübten. Die Länderverbindung der Habsburger ist deshalb auch als eine monarchische Union von Ständestaaten bezeichnet worden. Da der gemeinsame Landesherr in zunehmendem Maße für seine Länder gemeinsame Institutionen, vornehm­lich einen zentralen Behördenapparat, errichtete, bildeten die habsburgischen Länder in ihrer Gesamtheit so etwas wie eine Realunion.

Der ständische Dualismus wurde wie fast überall in Europa so auch in der Habsburgermonarchie vom monarchischen Absolutismus überwunden. Das bedeutete für die Habsburgermonarchie, daß die Entmachtung der Stände von einer Zurückdrängung des Partikularismus der Länder begleitet war. In der Habsburgermonarchie war es Maria Theresia, die als gemeinsame Landesfürstin der Länder des Hauses Osterreich, bei formeller Aufrechterhaltung der Stande und der Landtage, mittels einer Staats- und Rechtsreform im Geiste des Absolutismus nicht nur den landständischen Dualismus durch monarchischen Absolutismus, sondern auch den Länderpartikularismus durch Zentralismus ersetzt hat[5]. Dies gelang insbesondere durch zweierlei Maßnahmen: Es wurden Zentralbehörden geschaffen und diesen in den Ländern gleichartige Behörden untergeordnet. Durch allgemeine Gesetze, die für jedermann, gleich ob hoch oder niedrig, und in allen Ländern galten, wurden Rechtsg­leichheit und Rechtseinheit hergestellt. Aus den deutschen Erbländern des Hauses Öster­reich, einschließlich der Länder der Wenzelskrone, entstand auf diese Weise in der Zeit Maria Theresias im 18. Jhdt. trotz formellen Weiterbestehens der Selbständigkeit der ein­zelnen Länder ein habsburgischer Gesamtstaat. Es ist der Staat, der im 19. Jhdt. inoffiziell Cisleithanien genannt wurde, weil diesseits des Flusses Leitha befindlich - im Unterschied zu dem jenseits der Leitha gelegenen Ungarn, d.h. Transleithanien. Er wird aus der Perspektive der modernen Staatsrechtswissenschaft gelegentlich als dezentralisierter Einheitsstaat klassifiziert[6].

Der föderative Charakter dieses Staates blieb jedoch auch erhalten, als es seit dem Jahre 1804 ein österreichisches Kaisertum gab. Angesichts der Bedrohung der römisch-deut­schen Kaiserwürde der Habsburger durch das französische Kaisertum Napoleons hatte da­mals der Erwählte Römische Kaiser Franz II. zusätzlich den Titel eines erblichen Kaisers von Österreich angenommen - als den Namen seines Hauses, wie es in der Proklamation hieß. Die Annahmeerklarung garantierte ausdrücklich den Fortbestand sowohl der Titel, die der habsburgische Monarch im Hinblick auf seine einzelnen Länder führte, als auch deren bisherigen Verfassungszustand[7]. Nachdem unter dem Druck Napoleons Franz II. 1806 das Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und des Amtes des Erwählten Römischen Kaisers proklamiert hatte, regierte er den habsburgischen Gesamtstaat fortan als erblicher Kaiser von Österreich.

In jener Zeit wurde die Habsburgermonarchie um ein Land erweitert, das jahrhundertslang ein selbständiges geistliches Fürstentum im Verbande des Heiligen Römischen Reiches gewesen war: Salzburg, das bis dahin unter der Herrschaft seiner Bischöfe gestanden hatte wurde 1803 säkularisiert und als weltliches (Kur-) Fürstentum einem Mitglied der Dynastie der Habsburger übertragen, nämlich dem früheren Großherzog der Toskana. 1805 jedoch wurde das Herzogtum Salzburg zum ersten Mal Teil der Habsburgermonarchie, die es zwar 1809 an Bayern abtreten mußte, 1814/15 Salzburg aber endgültig zurückerhielt[8].

Diejenigen Länder der Habsburgermonarchie des 19. Jahrhunderts, die dem Heiligen Rö­mischen Reich angehört hatten, waren seit 1815 G1iedstaaten des Deutschen Bundes. Für sie galt daher die Verpflichtung zum Erlaß einer landständischen Verfassung[9]. Da die einsch1ägige Bestimmung der Bundesverfassung jedoch im altständischen Sinne interpretiert wurde, sah man in der Habsburgermonarchie die Verpflichtung in den einze1nen Ländern durch die Existenz von Landständen und Landtagen mit der engbegrenzten Rechtstellung, die der Absolutismus ihnen be1assen hatte, als erfüllt an[10].

Das konstitutionelle Zeitalter brach daher für den habsburgischen Gesamtstaat wie für dessen Länder erst nach der Revo1ution von 1848 an. Die Konstitutionen bzw. ein Verfas­sungsentwurf, die ab 1848, anfangs in rascher Aufeinanderfolge, entstanden, regelten die Rechtsstellung der Länder im Verbande der Habsburgermonarchie jeweils in verschiedener Weise[11]. Die erste Reichsverfassung, die der Kaiser unter dem Druck der Revolution am 25.4.1848 erließ und die nach ihrem Schöpfer, dem Innenminister Franz v. Pillersdorf, die Pillersdorfsche Verfassung genannt wird, konzipierte den österreichischen Kaiserstaat unitaristisch. Weder war den Ländern eine Beteiligung an der Reichsgesetzgebung eingeräumt noch war eine eigene Landesgesetzgebung vorgesehen. Die Länder waren auf den Status von Provinzen herabgedrückt. Die Landtage blieben als "Provinzialstände" erhalten[12].

Neue Revolutionswellen veranlaßten zuerst, daß der Kaiser den vorgesehenen Reichstag mit der Kompetenz der Schaffung einer Konstitution ausstattete, der dann nach seinem Zusammentreten von Wien in die mährische Stadt Kremsier fluchtete. Der von diesem Kremsierer Reichstag ausgearbeitete sogen. Kremsierer Entwurf war föderalistisch angelegt. Er hob von der Reichszentralgewalt eine eigene Landesregierungsgewalt ab[13]. Auf der Reichsebene wollte der Kremsierer Entwurf das föderalistische Prinzip zur Geltung brin­gen, indem er die Länder an der Reichsgesetzgebung beteiligte. Dies sollte dadurch ge­schehen, daß eine der beiden Kammern des Reichstags als Ländervertretung gedacht war, die daher auch als die Länderkammer bezeichnet wurde[14]. Sie sollte von den Landtagen beschickt werden[15]. In Ländern, die in ethnische Kreise eingeteilt waren, sollte zusätzlich aus jedem Kreis durch den Kreistag je ein Abgeordneter in die Länderkammer gewählt werden. Wäre der Kremsierer Entwurf Verfassungswirklichkeit geworden, hätte er, indem er auf diese Weise die Beteiligung aller Nationalitäten an der Reichsgesetzgebung sicherte, vielleicht das Nationalitätenproblem in den Griff bekommen und den die Habsburger­monarchie zersetzenden Nationalitätenkonflikt zu dämpfen vermocht.

Eine eigene Landesgesetzgebung, deren Kompetenzen taxativ aufgezählt waren, sollte durch den Kaiser in seiner Eigenschaft als Landesoberhaupt gemeinsam mit dem jeweiligen Landtag erfolgen, wobei der Gesetzesbeschluß des Landtags der Sanktion des Kaisers bedurfte[16]. Den Landtagen war als erste Aufgabe die von konstituierenden Versammlungen zugewiesen. Für die von ihnen beschlossenen Landesverfassungen wäre jedoch die Bestä­tigung durch den Reichstag erforderlich gewesen[17].

Die vollziehende Gewalt wies der Kremsierer Entwurf wie die Pillersdorfsche Verfassung in die alleinige Kompetenz des Kaisers[18]. Die Verwaltung in den Ländern sollte für den Kaiser jeweils ein von diesem ernannter Landeschef führen, der in der Regel als Statthalter bezeichnet wurde. Dieser sollte für die Vollziehung von Reichsgesetzen der Reichsregierung[19], für die von Landesgesetzen dem Landtag verantwortlich sein[20]. Die Gerichtsbarkeit sollte ausschließlich von staatlichen Richtern im Namen des Kaisers ausgeübt werden[21].

Der Kremsierer Reichstag konnte seinen Verfassungsentwurf nicht beschließen, da er infolge der erstarkten Reaktion vom Kaiser am 4.3.1849 aufgelöst wurde. Gleichzeitig erließ der Kaiser aber eine Verfassung, die sogen. Oktroyierte Märzverfassung. Sie unterschied sich zwar grundsätzlich insofern vom Kremsierer Entwurf, als sie nicht wie dieser auf dem Prinzip der Volkssouveränität, sondern auf dem monarchischem Prinzip aufbaute, sie wollte im übrigen aber den Anschein weitgehender Übereinstimmung mit dem vom Kremsierer Reichstag ausgearbeiteten Verfassungsentwurf erwecken. Wenn sie auch das Kaisertum Osterreich, in das sie im Unterschied zur Pillersdorfschen Verfassung und zum Kremsierer Entwurf ebenfalls Lombardo-Venetien und Ungarn einbezog[22], erstma1ig zu einem einheitlichen Zoll- und Wirtschaftsgebiet machte[23], bewahrte sie doch bis zu einem gewissen Grade den föderativen Charakter des Staates. Der für die Reichsgesetzgebung zusammen mit dem Kaiser vorgesehene Reichstag sollte neben einem gewähltem Unter­haus ein von den Landtagen beschicktes Oberhaus haben. Dieses Oberhaus der Oktroyier­ten Märzverfassung wäre allerdings, wenn es je gewählt worden wäre, infolge der Beson­derheit der Voraussetzungen des passiven Wah1rechts der Oberhausmitg1ieder weniger eine Ländervertretung a1s vie1mehr eine Interessenvertretung des Großgrundbesitzes der Länder der Habsburgermonarchie geworden. In die Kompetenz des Reichstags wurden alle Angelegenheiten verwiesen, die nicht durch die Reichsverfassung oder ein Reichsgesetz zu Lan­desangelegenheiten erklärt wurden[24].

Die Gesetzgebung in Landesangelegenheiten sollte vom Kaiser in seiner Eigenschaft als Reichsoberhaupt und nicht in der eines Landesoberhaupts gemeinsam mit dem jeweiligen Landtag ausgeübt werden25[25]. Wie gegenüber dem Reichstag so war auch gegenüber dem Landtag dem Kaiser in der Gesetzgebung ein absolutes Vetorecht eingeräumt[26]. Die Ok­troyierte Märzverfassung hob die de facto bereits aufgelösten altständischen Verfassungs­relikte in den Ländern ausdrücklich auf[27]. Oktroyierte Landesverfassungen der Jahre 1849 und 1850 organisierten die Landtage weder im altständischen Sinn noch als allgemeine Volksvertretungen. Sie führten vielmehr ein neues Kuriensystem ein, wonach die Landtage aus gewählten Abgeordneten bestehen sollten, die kontingentweise von den Höchstbesteuerten, von Städten und Markten sowie von den Landgemeinden zu wählen waren. Die Regelung wurde bis auf zwei Ausnahmen[28] vorerst zwar nicht Verfassungswirklichkeit, sie ging jedoch im wesentlichen in die Landesordnungen und Landtagswahlordnungen aus dem Jahre 1861 ein und existierte deshalb in den Ländern bis 1918.

Die Oktroyierte Märzverfassung räumte den Ländern zwar Gesetzgebungskompetenz ein, die Kompetenzzuweisung für die vollziehende Gewalt erfolgte jedoch im rein zentralistischen Sinne. Verwaltung und Gerichtsbarkeit waren Sache der Zentralgewalt. In jedem Land sollte ein vom Kaiser ernannter Statthalter an der Spitze der Verwaltung stehen, der nicht nur für die Vollziehung der Reichsgesetze, sondern im Unterschied zu der vom Kremsierer Entwurf vorgesehenen Regelung auch für die der Landesgesetze der Reichsregierung verantwortlich war[29].

Die Reaktion im Staat vermochte die Realisierung der Oktroyierten Märzverfassung zu verhindern[30]. Am 31.12.1851 wurde durch die kaiserlichen Sylvesterpatente die konstitu­tionelle Monarchie in Osterreich überhaupt beseitigt. Der österreichische Kaiserstaat war nun wieder eine absolute Monarchie. Eines der Sylvesterpatente, die «Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates», stellte das Programm für die Gestaltung der staatlichen Verhältnisse im Sinne des nunmehrigen Neo­absolutismus auf. Die Organisation des österreichischen Kaiserstaates hatte nach diesen Grundsätzen in Unterordnung unter den Kaiser zentralistisch in allen Ländern einheitlich zu erfolgen. Demgemäß wurde in jedem Land als kaiserliche Behörde eine Landesstelle eingerichtet, die Statthalterei oder Landesregierung hieß, und an deren Spitze der vom Kai­ser ernannte Landeschef mit dem Titel eines Statthalters bzw. Landespräsidenten stand.

Zu einer Revision des neoabsolutistischen Systems wurde der Kaiser 1860 genötigt. Der Verlust des Krieges gegen das Königreich Sardinien-Piemont hatte eine staatliche Finanzmisere herbeigeführt, die die Regierung nur mit Hilfe der finanzstarken Bevölke­rungskreise des Staates bewältigen konnte. Diese aber strebten nach Mitbestimmung im Staate. Eine zumindest scheinbare Rückkehr zum Konstitutionalismus war daher für den Kaiser unausweichlich. Ein erster Schritt wurde gesetzt, indem der den Kaiser beratende Reichsrat, der als einzige Institution der Oktroyierten Märzverfassung errichtet worden war, um zusätzliche Mitglieder, die von den zu bildenden Landtagen aus deren Reihen zu wäh­len waren, vermehrt wurde (˝Verstärkter Reichsrat˝). Deren Zahl wurde anfangs mit 38, im Oktober 1860 jedoch mit 100 festgesetzt. Ebenfalls am 20.10.1860 versprach der Kaiser mit seinem sogen. Oktoberdiplom, daß er künftig in den allen seinen Königreichen und Ländern gemeinschaftlichen Angelegenheiten, die taxativ aufgezahlt wurden, diesen Reichsrat, in allen anderen Angelegenheiten die wieder zu errichtenden Landtage obligato­risch, allerdings nur zur Beratung, hernziehen werde. Dieser föderalistische Zuschnitt des in Aussicht genommenen Verfassungszustandes entsprach den Vorstellungen des politischen Lagers der Konservativen jener Zeit, in dem der großgrundbesitzende Adel tonangebend war, dessen föderalistische Gesinnung an altständische Traditionen anknüpfte.

Wegen des dem Programm des Oktoberdiploms sonst aber entgegengesetzten Widerstandes nahm der Kaiser schon wenige Monate später eine verfassungpolitische Schwenkung zum liberalen politischen Lager vor, dessen Hauptforderung auf Erlaß einer echten Konsti­tution gerichtet war. Die Liberalen, die sich aus dem Groß- unti Bildungsbürgertum der deutschen Länder der Monarchie rekrutierten, waren in Anknüpfung an den aufgeklarten Absolutismus eines Josef II. Zentralisten. Ihren politischen Vorstellungen entsprachen eine Reihe von Verfassungsgesetzen, die der Kaiser am 26.2. 1861 in Kraft setzte und die in ihrer Gesamtheit die Februarverfassung bilden. Der Reichsrat wurde nun zu einem echten Parlament, das neben dem mit absolutem Vetorecht ausgestatteten Kaiser mitbeschließend für die Reichsgesetzgebung zuständig war. Dieser Reichsrat war nach dem Zweikammer­system strukturiert. Er hatte neben dem Herrenhaus ein von den Landtagen beschicktes Abgeordnetenhaus. Aufgrund der im Rahmen der Februarverfassung für die einzelnen Länder ergangenen Landesordnungen und Landtagswahlordnungen bestanden die Landtage neben sogenannten Virilisten, die ex-officio Mitgliedschaft im Landtag hatten, aus gewähl­ten Abgeordneten, die nach dem 1849 erstmals eingeführten Kuriensystem gewählt wurden, das nun allerdings insofern verändert war, als es statt der Kurie der Höchstbesteuerten eine Kurie der Großgrundbesitzer und zusätzlich eine Kurie der Mitglieder der Handels­und Gewerbegenossenschaften gab.

Wenn auch die Februarverfassung mit ihrem einschlägigen Grundgesetz über die Reichsvertretung durch die Konstruktion des Abgeordnetenhauses als eines Ausschußlandtages und durch die Existenz der Landtage föderative Elemente aufwies, regelte sie das Verhältnis zwischen Gesamtstaat und Ländern im Grunde jedoch zentralistisch. In diesem Sinn waren nämlich die Kompetenzen zwischen Reichsrat und Landtagen verteilt: Das Grundgesetz über die Reichsvertretung erklärte den Reichsrat für die allen Königreichen und Ländern gemeinschaftlichen Angelegenheiten zuständig und zahlte diese in Anlehnung an die einschlägige Bestimmung des Oktoberdiploms auf[31]. Dem Reichsrat kam darüber hinaus insofern eine Generalzuständigkeit zu, als er auch für alle Angelegenheiten zuständig war, die nicht durch die Landesordnungen in die Kompetenz der einzelnen Landtage verwiesen wurden[32].

Die Landtage hatten aber außer der Beschlußfassung in der Landesgesetzgebung, die der Sanktion durch den Kaiser bedurfte, auch Kompetenzen in der Landesverwaltung. Hin­sichtlich der Verwaltung in den Ländern bestand insofern eine Zweigeleisigkeit, als es ne­ben der staatlichen Verwaltung durch die Statthalterei mit dem vom Kaiser ernannten und der Reichsregierung verantwortlichen Statthalter an der Spitze eine autonome Landesverwaltung gab, die der Landtag durch den aus seiner Mitte gewählten Landesausschuß mit dem Landmarschall oder Landeshauptmann an der Spitze ausübte. Bei dieser autonomen Verwaltung von Landesangelegenheiten durch den Landtag handelte es sich im großen und ganzen um die Verwaltung des noch aus der Zeit des ständischen Dualismus stammenden Landesvermögens, also um Wirtschaftsverwaltung.

Die Februarverfassung, die Ungarn in ihren Geltungsbereich einbezogen hatte, scheiterte am Widerstand der Ungarn, die Eigenstaatlichkeit mit eigener ungarischer Verfassung forderten[33]. Nach dem durch das Ende des Deutschen Bundes erzwungenen Ausscheiden der deutschen Länder der Habsburgermonarchie aus der deutschen Staatengemeinschaft im Jahre 1866 wurde 1867 das Verhältnis zwischen Cisleithanien und Transleithanien durch den berühmten Ausgleich im Sinne einer Realunion zweier Staaten geregelt. Noch im selben Jahr erhielt der cisleithanische Gesamtstaat, der nach seinem Gesetzgebungsorgan offiziell als «die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder» bezeichnet wurde, eine neue Verfassung in Gestalt der aus einer Reihe von Staatsgrundgesetzen vom 21.12.1867 bestehenden sogen. Dezemberverfassung, die den Staat als dezentralisierten Einheitsstaat organisierte. Das Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung in der Fassung, die das aus dem Jahre 1861 stammende Gesetz 1867 erhielt, beließ den aus dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus bestehenden Reichsrat neben dem mit absolutem Vetorecht ausge­statteten Kaiser als das mitbeschließende Repräsentativorgan für die Reichsgesetzgebung Cisleithaniens. Das Abgeordnetenhaus wurde anfangs nach wie vor von den Landtagen beschickt, seit einer Wahlreform von 1873 jedoch von den in die erwähnten vier Kurien oder Klassen eingeteilten Landtagswählern gewählt. Der Reichsrat war für die allen König­reichen und Ländern gemeinschaftlichen Angelegenheiten zuständig, jedoch nur insoweit, als diese nicht infolge des Ausgleichs mit Ungarn von Cisleithanien und den Ländern der ungarischen Krone gemeinsam zu regeln waren[34]. Das Staatsgrundgesetz über die Reichs­vertretung von 1867 zählte die Kompetenzen des Reichsrats, indem es weitgehend den Regelungen von 1860 und 1861 folgte, taxativ auf[35]. Alle anderen Angelegenheiten aber fielen nun, in Umkehrung der einschlägigen zentralistischen Generalklausel der Fassung des Gesetzes von 1861, in die Kompetenz der Landtage[36], die in dieser Hinsicht 1867 auf­gewertet wurden. Es war jedoch jedem Landtag unbenommen, in seine Zuständigkeit fallende Angelegenheiten an den Reichsrat zu übertragen[37].

Die Landtage, deren Gesetzesbeschlüsse der Sanktion des Kaisers in dessen Eigenschaft als Reichsoberhaupt, nicht als Landesherr des betreffenden Landes, bedurften, wurden weiter­hin nach einem, im Lauf der folgenden Zeit allerdings verschiedentlich reformierten, Ku­rienwahlrecht gewählt. Die Verwaltung in den Ländern blieb durch die erwähnte Zweige­leisigkeit gekennzeichnet, die die Monarchie überdauerte und erst 1925 beseitigt wurde. Die Gerichtsbarkeit verblieb gemäß dem Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt von 1867 in der Kompetenz des cisleithanischen Gesamtstaates, und diese Kompetenzrege­lung hat auch der republikanische Bundesstaat bis heute beibehalten.

In unserem Jahrhundert wurde Österreich zweimal bei Verfassungsumbrüchen, die ohne Verfassungskontinuität erfolgten, anfangs als zentralistischer Einheitsstaat eingerichtet. Die Entwicklung ging dann jeweils über eine Verfassungsordnung im Sinne eines dezen­tralisierten Einheitsstaates zu der des Bundesstaates, der jedoch infolge jener Entwicklung auf Dauer unitaristische Züge anhafteten und noch heute anhaften[38]. Das war sowohl 1918 bis 1920 als auch 1945 der Fall.

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie gestaltete die aus den Reichsratsabgeordneten der deutschen Länder der Habsburgermonarchie gebildete Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich die von ihr mit ihrem Beschluß über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt vom 30.10.1918[39] revolutionär gegründete Republik Deutschösterreich als zentralistischen Einheitsstaat[40]. In den Länder hatten sich jedoch ebenso revolutionär Provisorische Landesversammlungen gebildet, von denen einige Beitrittserklärungen zur Republik Deutschösterreich abgaben[41]. Die Provisorische Nationalversammlung ihrerseits legalisierte alle Provisorischen Landesversammlungen mit ihrem Gesetz betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern vom 14.11.1918[42]. Sie räumte den Ländern damit zwar noch nicht die von diesen faktisch in Anspruch genommene Gesetzgebung ein[43], wohl aber einen Anteil an der Vollziehung. Allerdings band sie die Landesregierung bei deren gesamter Amtsführung an die Anweisungen der Staatsregierung in Wien. Die 1919 aus Wahlen hervorgegangene Konstituierende Nationalversammlung übernahm mit ihrem Gesetz über die Volksvertretung vom 14.3.1919[44] die Nachfolge der Provisorischen Nationalversammlung als gesetzgebende Körperschaft. Sie gewahrte den in jener Zeit gewahlten Landtagen die Kompetenz ftir die Landesgesetzgebung. Allerdings erhielt die zentrale Staatsregierung eine Art suspensiven Vetorechts gegenüber den Gesetzesbeschlüssen der Landtage, bei manchen Landesgesetzen[45] sogar ein absolutes Vetorecht. Alle Landesgesetze konnten von ihr wegen Verfassungswidrigkeit beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden. Ihre Aufgabe als Konstituente erfüllte die Konstituierende Nationalversammlung schließlich, indem sie für den nun[46] "Republik Österreich" genannten Staat mit dem von ihr beschlossenen Bundes-Verfassungsgesetz vom 1.10.1920[47] eine bundesstaatliche Verfassung einführte. Ein gleichzeitig ergangenes Verfassungsübergangsgesetz[48] rezipierte jedoch vorläufig die Kompetenzbestimmungen der Dezemberverfassung 1867.

1945 setzte nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes in Osterreich die von den in Wien vorhandenen politischen Parteien gebildete Provisorische Staatsregierung mit ihrem sogen. Ersten Verfassungs-Überleitungsgesetz vom 1.5.1945[49] das B-VG 1920 in der Fassung von 1929 wieder in Kraft. Da jedoch zum damaligen Zeitpunkt die demokratische und föderalistische Verfassung vor allem wegen des Fehlens parlamentarischer Einrichtun­gen zum Teil tatsächlich undurchführbar war, erließ die Provisorische Staatsregierung gleichzeitig eine Vorläufige Verfassung[50]. Diese war nicht nur gewaltenverbindend, sondern auch einheitsstaatlich. Sie räumte die Gesetzgebung und die Leitung der Verwaltung für ganz Osterreich der Provisorischen Staatsregierung in Wien ein. Die Provisorische Staatsregierung war aber anfangs nur von der sowjetischen Besatzungsmacht anerkannt. In den Besatzungszonen der Westmächte hatten sich von diesen anerkannte Provisorische Landesregierungen gebildet. 1m Verlauf des Sommers 1945 kam es zur wechselseitigen Anerkennung der Provisorischen Staatsregierung und der Provisorischen Landesregierungen. Mit ihrer Verfassungsnovelle vom 12.10.1945[51] nahm die Provisorische Staatsregie­rung insofern eine Dezentralisierung des Einheitsstaates vor, als sie den Provisorischen Landesregierungen die Landesgesetzgebung - und Verwaltung zugestand, die Kundmachung der Landesgesetze allerdings an die Zustimmung der Provisorischen Staatsregierung band. Als schließlich auf Anordnung der nun auch von den Westmächten anerkannten Provisorischen Staatsregierung der Nationalrat und die Länderparlamente gewählt worden waren, konnten die Kompetenzen der provisorischen Staatsorgane auf die dem B-VG ent­sprechenden Staatsorgane übergehen. Seit dem Zusammentreten des Nationalrats und des Bundesrats zur Bundesversammlung am 19.12.1945 ist die gewaltentrennende und bundesstaatliche österreichische Verfassung von 1920/29 wieder voll wirksam.

In der Anfangszeit der Republik war die Zahl der historischen Länder Osterreichs um zwei neue vermehrt worden. Einen Teil Westungarns, wo Deutsch gesprochen wurde, wollte man schon gegen Ende der Monarchie von Transleithanien abtrennen und Cisleithanien zuordnen. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt die österreichische Republik das von ihr be­anspruchte Gebiet[52] durch die von den Siegermächten mit Österreich und Ungarn geschlos­senen Vertrage (von Saint Germain und von Trianon) zugesprochen. Die Inbesitznahme durch Österreich konnte jedoch erst erfolgen, als der ungarische Widerstand durch einen auf Vermittlung Italiens zwischen Österreich und Ungarn geschlossenen Vergleich (Venediger Protokoll vom 13.10.1921) überwunden war. Seit November 1921 gehört ein Teil des ehemaligen Deutsch-Westungarn mit dem Namen Burgenland zur Zahl der öster­reichischen Bundesländer[53]. Diese Zahl wuchs schließlich auf neun an, als Wien, das seit jeher zum Land Niederösterreich gehört hatte, dessen Hauptstadt es gewesen war, durch Trennungsgesetze beider Landestei1e am 1.1.1922 von Niederösterreich getrennt und zu einem eigenen Bundesland wurde[54].

A1s Rechtshistoriker habe ich mir die Freiheit genommen, bei der Behand1ung meines Themas dessen verfassungsgeschicht1iche Seite in den Vordergrund zu rücken. Das enthebt mich frei1ich nicht, Ihnen noch die gegenwärtige Verfassungssituation zumindest skizzen­haft vorzuführen.

Die Institutionen der österreichischen Bundesverfassung bieten, wie es ein Wiener Öffent­lichrechtler sagt[55] «eher das Bild eines dezentralisierten Einheitsstaates». Unter welchem Aspekt man den österreichischen Bundesstaat auch betrachtet, «stets erweist er sich a1s extrem zentralistisch»[56].

Die Republik Österreich bildet ein einheitliches Wahrung-, Wirtschafts- und Zollgebiet[57]. Die Staatsbürgerschaft ist eine einheitliche[58]. Bund und Länder sind nach der österreichischen Bundesverfassung zwar prinzipiell rechtlich gleichwertig, was sich darin äußert, daß im Verhältnis zwischen einfachen Bundesgesetzen und einfachen Landesgesetzen nicht der Grundsatz «Bundesrecht bricht Landesrecht», sondern die 1ex-posterior-Regel gilt[59]. Jedoch steht die Kompetenz - Kompetenz dem Bundesverfassungsgesetzgeber, d.h. dem Nationalrat, zu[60]. Die Kompetenzverteilung durch das B-VG ist zwar gesetzestechnisch insofern födera1istisch, als eine Generalklausel zugunsten der Länder alle Angelegenheiten in deren Zuständigkeit verweist, die nicht ausdrücklich dem Bund übertragen sind[61]. In seinen vorausgehenden Bestimmungen räumt das B-VG dem Bund aber ausdrücklich so viele Kompetenzen ein, daß für die Länder kaum größere, in sich geschlossene Aufgabenbereiche übrig bleiben[62]. Das B-VG verteilt an den Bund und an die Länder Kompetenzen zur Gesetzgebung und Kompetenzen zur Vollziehung. Die Kompetenzen zur Vollziehung erstrecken sich jedoch nicht auf die Gerichtsbarkeit, die in Österreich traditionsgemäß dem Zentralstaat zukommt und daher eine Bundeskompetenz ist[63]. Sie erstrecken sich auch nicht auf die sogen. Privatwirtschaftsverwaltung[64], worunter die Tätigkeit von Verwa1tungsorganen in Rechtsformen des Privatrechts zu verstehen ist.

 

Das B-VG kennt vier Haupttypen del Kompetenzverteilung: 1. Der Bund hat die Kompe­tenz für die Gesetzgebung und die Vollziehung[65]. Dazu gehört von Anfang an die weitaus größte Zahl von Kompetenzen, die im Laufe der Zeit zu Lasten der Länderkompetenzen sogar noch vermehrt wurden. So ist seit 1962 auch die bis dahin nicht definitiv festgelegte Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Schul- und Erziehungswesens zentralistisch geregelt und diese dementsprechend Bundessache[66]. 2. Der Bund hat die Kompetenz für die Gesetzgebung, das Land für die Vollziehung[67] wie z.B. hinsichtlich des Staatsbür­gerschaftsrechts. 3. Der Bund hat die Kompetenz für die Grundsatzgesetzgebung, das Land für die Ausführungsgesetzgebung und für die Vollziehung[68] wie z.B. hinsichtlich von Heil- ­und Pflegeanstalten. 4. Das Land hat die Kompetenz für die Gesetzgebung und die Vollziehung[69]. Zu der erwähnten Tendenz der Ausweitung der Bundeskompetenzen gibt es seit der Mitte der 70er Jahre eine gegenläufige Tendenz des Ausbaus des Föderalismus. So können seit 1974 die Länder mit dem Bund oder untereinander über Angelegenheiten ihres jeweiligen Wirkungsbereiches sogen. Gliedschaftsverträge schließen, auf die die Grundsätze des völkerrechtlichen Vertragsrechts anzuwenden sind[70]. Und seit 1989 besteht für die Länder die Möglichkeit, im Rahmen ihres selbständigen Wirkungsbereichs, unter Auf­sicht des Bundes, Staatsverträge mit den Nachbarstaaten Österreichs abzuschließen[71].

Als wesentliches Merkmal des Bundesstaats gilt nach Ansicht des österreichischen Verfassungsgerichtshofs neben der Kompetenzverteilung auf Bund und Länder die Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes[72].  Die Verfassung sieht dafür  den Bundesrat vor. Im Bundesrat sind die Länder proportional nach ihrer Bevölkerungszahl vertreten. Das größte Land, nämlich Wien, stellt 12 Mitglieder des Bundesrats, die anderen Länder soviele, wie es dem Verhältnis ihrer Bevölkerungszahl zu derjenigen des größten Landes ent­spricht, mindestens aber drei[73]. Die Mitglieder des Bundesrats werden von den Landtagen nach dem Parteienproporz gewählt. Sie müssen nicht dem Landtag angehören[74].

Sie sind an keine Weisungen des Landtags gebunden[75]. Infolge del Zusammensetzung des Bundesrats spiegeln sich in diesem die parteipolitischen Verhältnisse des Nationalrats wider und ist der Bundesrat in der Verfassungswirklichkeit weniger ein Organ der Länder als vielmehr ein solches der politischen Parteien[76]. Der Bundesrat hat gegenüber den Gesetzesbeschlüssen des Nationalrats ein suspensives Vetorecht[77].

Umgekehrt wirkt aber auch der Bund an der Landesgesetzgebung mit. Dies geschieht durch die Bundesregierung, der die Gesetzesbeschlüsse der Landtage vor ihrer Kundmachung vorzulegen sind und die gegen diese wegen Gefährdung von Bundesinteressen Einspruch erheben kann, dem allerdings nur suspensive Wirkung zukommt[78]. Ein Zustimmungsrecht hat die Bundesregierung jedoch bei Gesetzesbeschlüssen der Landtage, die eine Mitwir­kung von Bundesorganen bei der Vollziehung vorsehen[79].

Für den österreichische Bundesstaat besonders typisch ist die sogen. mittelbare Bundesverwaltung. Die zahlreichen Verwaltungskompetenzen des Bundes werden in den Instan­zen unterhalb der Bundesministerien regelmäßig von den Landesbehörden, d.h. vom Lan­deshauptmann und den ihm unterstellten Landesbehörden, ausgeübt[80]. Es werden auf diese Weise die Kosten des zweifachen Verwaltungsapparats der früheren Doppelgeleisigkeit der Verwaltung vermieden. Vor allem aber haben die Länder dadurch Einfluß auf die Vollzie­hung von Bundeskompetenzen. Die mittelbare Bundesverwaltung ist somit einerseits ein föderalistisches Element des österreichischen Bundesstaats. Sie ist aber andererseits, indem in ihrem Rahmen das oberste Verwaltungsorgan des Landes, nämlich der Landeshaupt­mann, den Weisungen des zuständigen Bundesministers unterworfen ist[81], kennzeichnend für die zentralistische Struktur des österreichischen Bundesstaats[82].

Die verfassungspolitische Diskussion über die Umgestaltung des österreichischen Bundes­staats im Sinn von Forderungsprogrammen der Länder zur Stärkung des Föderalismus reicht bis in die Gegenwart. Seit Jahren zeichnet sich eine Entwicklung in Richtung eines kooperativen Föderalismus ab, bei dem zwischen Bund und Ländern nicht mehr ein hierarchisches Verhältnis, sondern ein solches der Koordination besteht. Wie aktuell und schillernd das Föderalismusproblem in Österreich und wie zugleich historisch tief verwurzelt der österreichische Föderalismus ist, wurde erst jüngst unter Beweis gestellt. Da wurde unter der Devise der Verwaltungsvereinfachung sowie der Aufwertung des Föderalismus im Sommer dieses Jahres von dem Mitglied einer Landesregierung[83] die Auflösung der Bundesländer und ihre Ersetzung durch drei zu bildende Regionen (West, Sud, Ost) vorgeschlagen, und da wurde der Vorschlag vom Landeshauptrnann eines anderen Landes[84] prompt vor allem mit der Begründung zurückgewiesen, daß die selbständigen österreichischen Bundesländer Träger eines Identitätsbewußtseins der jeweiligen Landesbevölkerung seien.

 

 

 

 



 

[1] Vgl. Th. Öhlinger, Die föderative Verfassung Österreichs, DÖV 1978, 897.

 

[2] Um diesen Kern ist eine Vielzahl von besonderen Bundesverfassungsgesetzen und bundesverfassungsrechtlichen Bestimmungen in einfachen Bundesgesetzen und Staatsverträgen geschaffen worden.

 

[3] Zu Fo1gendem verg1eiche R. Hoke, Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte, Wien - Köln - Weimar, 21996, 73 ff.

 

[4] Vgl. ebda., 195 ff.

 

[5] V gl. ebda., 228 ff.

 

[6] Vgl. u.a. K. Weber, Föderalismus, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933, hg. v. Talos - Dachs - Hanisch - Staudinger, Wien 1995, 123.

 

[7] Vgl. R. Hoke, L'Empereur d'Autriche et l'Empereur Romain. Les changements intervenus en 1804 et 1806 à la suite de la Révolution Française, in: P. Villard - I.M. Carbasse, hg., L'Unité des principaux Etats européens a la veille de la Révolution, Paris 1992, 152 ff (155); auch deutsch: Der  Kaiser von Österreich und der Römische Kaiser, in: Heiliges Römisches Reich und moderne Staatlichkeit (= Rechtshistor. Reihe 101 Frankfurt a.M. - Berlin - Bern-New York-Paris-Wien 1993, 111 ff (116).

 

[8] Vgl. Hoke, Anm. 3, 308.

 

[9] Art. 13 DBA.

 

[10] Vgl. Hoke, Anm. 3, 310 ff.

 

[11] Zum Folgenden vgl. ebda., 341 ff.

 

[12] § 54.

 

[13] §§ 34, 40 ff, 102 ff.

 

[14] § 73.

 

[15] §§ 99 ff.

 

[16] §§ 35,114,117.

 

[17] § 111.

 

[18] § 38.

 

[19] § 102.

 

[20] § 104.

 

[21] §§ 39, 132.

 

[22] §1.

 

[23] § 7.

 

[24] § 36 lit.k.

 

[25] § 37.

 

[26] §§ 66, 80 Abs. 2.

 

[27] § 77 Abs. 2.

 

[28] Triest und die Militärgrenze.

 

[29] §§ 92, 94.

 

[30] Zum Folgenden vgl. Hoke, Anm. 3, 359 ff.

 

[31] § 10.

 

[32] § 1l.

 

[33] Zum Folgenden vgl. Hoke, Anm. 3, 384 ff.

 

[34] § 11 Abs. 1.

 

[35] § 11 Abs. 2.

 

[36] § 12 Abs. 1.

 

[37] § 12 Abs. 4.

 

[38] Vgl. Hoke, Anrn. 3,458 ff, 501 ff; O. Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Linz 1992, 240 ff, 349 ff, 365 ff.

 

[39] StGBl. Nr. l.

 

[40] Nach W. Brauneder - F. Lachmayer, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien6 1995,193, trat die Republik Deutschösterreich schon mit der Staatsgründung de facto als dezentralisierter Einheitsstaat ins Leben.

 

[41] StGBI. Nr. 23; vgl. B. Pernthaler, Die Staatsgründungsakte der österreichischen Bundesländer. Eine staatsrechtliche Untersuchung über die Entstehung des Bundesstaates, Wien 1979, 25 f.

 

[42] StGBI. Nr. 24.

 

[43] Vgl. Lehner, Anm. 38, 250, Anm. 42. Anderer Meinung Brauneder-Lachmayer, Anm. 40, 193.

 

[44] StGBl. Nr. 179.

 

[45] Zu deren Vollziehung war die Mitwirkung der Staatsregierung erforderlich wie z.B. hinsichtlich des Forst­- und Jagdwesens.

 

[46] Gesetz über die Staatsform vom 21.10.1919, StGBl. 484.

 

[47] BGBl. l.

 

[48] Verfassungsgesetz betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung, BGBl. 2.

 

[49] Verfassungsgesetz über das neuerliche Wirksamwerden des Bundes- V erfassungsgesetzes in der Fassung von 1929, StBGI. 4.

 

[50] Verfassungsgesetz über die vorläufige Einrichtung der Republik Österreich vom 1.5.1945, StGBl. 5.

 

[51] StBGI. 196

 

[52] Staatserklärung vom 22.11.1918, StBGI. 41.

 

[53] Vgl. Hoke, Anm. 3, 467 f.

 

[54] Vgl. R. Hoke, Wien, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hg. von A. Erler + - E. Kaufmann - D. Werkmüller, 38. Lfg. Berlin 1995, 1377 ff (1388).

 

[55] Öhlinger, Anrn. l, 897.

 

[56] ebda.

 

[57] Art. 4 B- VG.

 

[58] Vgl. R. Walter-H.Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechts, Wien 81996,85.

 

[59]Vgl. Th. Öhlinger, Verfassungsrecht, Wien 3 1997, 103.

 

[60]Vgl. ebda. 108.

 

[61] Art. 15 Abs. l B-VG.

 

[62] Vgl. Öhlinger, Anrn. l, 897 f.

 

[63] Art. 82 B-VG.

 

[64] Art. 17 B- VG; vgl. dazu H. Schäffer, Aktuelle Problerne des Föderalisrnus in Österreich, in: österreichische JZ 1981, 1ff (3 rnit Anrn. 15).

 

[65] Art. 10 B-VG.

 

[66] Art. 14 B-VG.

 

[67] Art. 11 B-VG.

 

[68] Art. 12 B-VG.

 

[69] Art. 15 B-VG.

 

[70] Art. 15a B-VG.

 

[71] Art. 16 B-VG; vgl. B. Pernthaler, Der differenzierte Bundesstaat. Theoretische Grundlagen, praktische Konsequenzen und Anwendungsbereiche in der Refonn des österreichischen Bundesstaates, Wien 1992, 57 f.

 

[72] VfGH, Slg. 2455/1952.

 

[73] Art 34 B-VG.

 

[74] Art. 35 B-VG.

 

[75] Art. 56 B-VG.

 

[76] Vgl. Öhlinger, Anrn. 1,902; ders., Anrn. 59, 129.

 

[77] Art 42 B-VG.

 

[78] Art 98 B-VG.

 

[79] Art 97, Abs. 2 B-VG.

 

[80] Art. 102 B-VG. Die unrnittelbare Bundesverwaltung durch eigene Bundesbehörden stelIt derngegenüber die Ausnahrne dar.

 

[81] Art 103 Abs. 1 B-VG.

 

[82] Vgl. F. Esterbauer, Kriterien föderativer und konföderativer Systerne, Wien 1976, 81; Öhlinger, Anrn. 59, 132; ders., Anrn. 1, 899.

 

[83] Vom steirischen ÖVP-Landesrat Gerhard Hirschmann am 30.7.1997 in der Zeitung DER STANDARD.

 

[84] Vom oberösterreichischen ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer.