Universität
Wien
«Österreich ist ein Bundesstaat» - so lautet Art. 1 Abs. 1 des Österreichischen
Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) von 1920, das in der Fassung des Jahres 1929,
seitdem allerdings vielfach novelliert, auch heute das Stammgesetz[1] des Bundesverfassungsrechts der Republik Osterreich ist[2]. Und Art. 1 Abs. 2 B-VG 1920 i.d.F. 1929 fahrt fort: «Der Bundesstaat
wird gebi1det aus den selbständigen Ländern: Burgenland, Kärnten
Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg,
Wien».
Die Mehrzahl dieser neun österreichischen Bundesländer unseres Jahrhunderts
waren bereits im Mittelalter eigene Herrschaftsbereiche, deren mittelalterliche
Grenzen - und nicht zuletzt dadurch unterscheiden sie sich von den Ländern der
heutigen Bundesrepublik Deutschland - nahezu unverändert bis in die Gegenwart
erhalten blieben. Sie waren Territorien des Heiligen Römischen Reiches
deutscher Nation des Mittelalters und der Neuzeit[3]. Und ebenfalls bereits im Mittelalter war zwischen dieser Mehrzahl der
heutigen österreichischen Bundesländer eine dynastisch-staatliche Verbindung geknüpft
worden. Noch bevor die Habsburger Herrschaftsrechte auf dem Boden des heutigen
Osterreich ausübten, hatten ihre Vorgänger ais Herrscher des Herzogtums
Osterreichs, des heutigen Niederösterreich, die Babenberger, 1192 auch die
Herzogswürde in der Steiermark erlangt. Wie das Herzogtum Osterreich so war
auch das Herzogtum Steiermark kurz davor aus einer Markgrafschaft im Verbande
des Stammesherzogtums Bayern hervorgegangen, und wie Osterreich hatte seitdem
auch die Steiermark ais ein eigenes Territorialherzogtum den Status eines
Reichsfürstentums im Verbande des Heiligen Römischen Reiches. Die Herrschaft
über Osterreich und die Steiermark ging, nachdem die Dynastie der Babenberger
im Mannesstamm ausgestorben war, auf die Habsburger über.
Kurz davor hatte der König von Böhmen Ottokar Premysl, als er
vorübergehend über die Länder der ausgestorbenen Babenberger herrschte, aus
einem Teil der alten Steiermark einen Verwaltungssprengel herausgelöst, der
sich später zu einem eigenen Herzogtum entwickelte, das seitdem, zuerst mit dem
Namen Österreich ob der Enns, d.h. oberhalb des Grenzflusses Enns, heute als
Oberösterreich, neben Österreich unter der Enns, dem heutigen Niederösterreich,
als eigenes Land besteht.
Der erste deutsche König aus der Dynastie der Habsburger, Rudolf I., belehnte 1282 seine beiden Söhne zu
gesamter Hand mit den Reichslehen Österreich und Steiermark. Schon in der
nächsten Generation gelang es den Habsburgern, mit der Herrschaft über
Österreich und Steiermark auch diejenige über Kärnten zu verbinden. Auch
Kärnten war damals ein Territorialherzogtum innerhalb des Heiligen Römischen
Reiches, mit dem der deutsche König und Römische Kaiser 1335 wieder zwei
habsburgische Brüder zu gesamter Hand belehnte. Und die übernächste Generation
der Habsburger erhielt von der Erbin der Grafen von Tirol den von diesen im
Alpengebiet vereinigten und nach ihnen eben Tirol benannten Herrschaftsbereich
1363 geschenkt, mit dem sie der deutsche König und Römische Kaiser im Jahr
darauf auch förmlich belehnte. Abkömmlingen einer Grafenfamilie, die im Süden
des Stammesherzogtums Schwaben Herrschaftsrechte innegehabt hatte, kauften die
Habsburger diese seit dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts sukzessive ab
und formten daraus später das eigene Land Vorarlberg.
Alle genannten Länder, zusammen mit den habsburgischen Stammbesitzungen
in der Schweiz, im Elsass im Südwesten Deutschlands sowie mit den Ländern der
Wenzelskrone, über die die Habsburger seit 1526 als Könige von Böhmen
herrschten, bildeten in der Neuzeit insofern eine Einheit, als es sich bei
ihnen um die Länder des Hauses Osterreich, d.h. der Dynastie Habsburg, handelte[4]. Dazu kamen noch, seit
ebenfalls 1526 die Habsburger Könige von Ungarn waren, die Länder der
Stefanskrone, wobei diese sich jedoch, im Unterschied zu den vorgenannten
Ländern, außerhalb des Verbandes des Heiligen Römischen Reiches deutscher
Nation befanden. Jedes der habsburgischen Königreiche und Länder hatte seit dem
Mittelalter eigene Stande und einen eigenen Landtag, die im Zeitalter des
sogen. ständischen Dualismus neben dem habsburgischen Landesherrn Mitbestimmungsrechte
im Lande ausübten. Die Länderverbindung der Habsburger ist deshalb auch als
eine monarchische Union von Ständestaaten bezeichnet worden. Da der gemeinsame
Landesherr in zunehmendem Maße für seine Länder gemeinsame Institutionen,
vornehmlich einen zentralen Behördenapparat, errichtete, bildeten die
habsburgischen Länder in ihrer Gesamtheit so etwas wie eine Realunion.
Der ständische Dualismus wurde wie fast überall in Europa so auch in der
Habsburgermonarchie vom monarchischen Absolutismus überwunden. Das bedeutete
für die Habsburgermonarchie, daß die Entmachtung der Stände von einer
Zurückdrängung des Partikularismus der Länder begleitet war. In der
Habsburgermonarchie war es Maria Theresia, die als gemeinsame Landesfürstin der
Länder des Hauses Osterreich, bei formeller Aufrechterhaltung der Stande und
der Landtage, mittels einer Staats- und Rechtsreform im Geiste des Absolutismus
nicht nur den landständischen Dualismus durch monarchischen Absolutismus,
sondern auch den Länderpartikularismus durch Zentralismus ersetzt hat[5]. Dies gelang insbesondere durch zweierlei Maßnahmen: Es wurden
Zentralbehörden geschaffen und diesen in den Ländern gleichartige Behörden
untergeordnet. Durch allgemeine Gesetze, die für jedermann, gleich ob hoch oder
niedrig, und in allen Ländern galten, wurden Rechtsgleichheit und
Rechtseinheit hergestellt. Aus den deutschen Erbländern des Hauses Österreich,
einschließlich der Länder der Wenzelskrone, entstand auf diese Weise in der
Zeit Maria Theresias im 18. Jhdt. trotz formellen Weiterbestehens der
Selbständigkeit der einzelnen Länder ein habsburgischer Gesamtstaat. Es ist
der Staat, der im 19. Jhdt. inoffiziell Cisleithanien genannt wurde, weil diesseits
des Flusses Leitha befindlich - im Unterschied zu dem jenseits der Leitha
gelegenen Ungarn, d.h. Transleithanien. Er wird aus der Perspektive der
modernen Staatsrechtswissenschaft gelegentlich als dezentralisierter
Einheitsstaat klassifiziert[6].
Der föderative Charakter dieses Staates blieb jedoch auch erhalten, als
es seit dem Jahre 1804 ein österreichisches Kaisertum gab. Angesichts der
Bedrohung der römisch-deutschen Kaiserwürde der Habsburger durch das
französische Kaisertum Napoleons hatte damals der Erwählte Römische Kaiser
Franz II. zusätzlich den Titel eines
erblichen Kaisers von Österreich angenommen - als den Namen seines Hauses, wie
es in der Proklamation hieß. Die Annahmeerklarung garantierte ausdrücklich den
Fortbestand sowohl der Titel, die der habsburgische Monarch im Hinblick auf
seine einzelnen Länder führte, als auch deren bisherigen Verfassungszustand[7]. Nachdem unter dem Druck Napoleons Franz II. 1806 das Ende des Heiligen
Römischen Reiches deutscher Nation und des Amtes des Erwählten Römischen
Kaisers proklamiert hatte, regierte er den habsburgischen Gesamtstaat fortan
als erblicher Kaiser von Österreich.
In jener Zeit wurde die Habsburgermonarchie um ein Land erweitert, das jahrhundertslang
ein selbständiges geistliches Fürstentum im Verbande des Heiligen Römischen
Reiches gewesen war: Salzburg, das bis dahin unter der Herrschaft seiner
Bischöfe gestanden hatte wurde 1803 säkularisiert und als weltliches (Kur-)
Fürstentum einem Mitglied der Dynastie der Habsburger übertragen, nämlich dem
früheren Großherzog der Toskana. 1805 jedoch wurde das Herzogtum Salzburg zum
ersten Mal Teil der Habsburgermonarchie, die es zwar 1809 an Bayern abtreten
mußte, 1814/15 Salzburg aber endgültig zurückerhielt[8].
Diejenigen Länder der Habsburgermonarchie des 19. Jahrhunderts, die dem
Heiligen Römischen Reich angehört hatten, waren seit 1815 G1iedstaaten des
Deutschen Bundes. Für sie galt daher die Verpflichtung zum Erlaß einer
landständischen Verfassung[9]. Da die einsch1ägige Bestimmung der Bundesverfassung jedoch im
altständischen Sinne interpretiert wurde, sah man in der Habsburgermonarchie
die Verpflichtung in den einze1nen Ländern durch die Existenz von Landständen
und Landtagen mit der engbegrenzten Rechtstellung, die der Absolutismus ihnen
be1assen hatte, als erfüllt an[10].
Das konstitutionelle Zeitalter brach daher für den habsburgischen
Gesamtstaat wie für dessen Länder erst nach der Revo1ution von 1848 an. Die
Konstitutionen bzw. ein Verfassungsentwurf, die ab 1848, anfangs in rascher
Aufeinanderfolge, entstanden, regelten die Rechtsstellung der Länder im
Verbande der Habsburgermonarchie jeweils in verschiedener Weise[11]. Die erste Reichsverfassung, die der Kaiser unter dem Druck der
Revolution am 25.4.1848 erließ und die nach ihrem Schöpfer, dem Innenminister
Franz v. Pillersdorf, die Pillersdorfsche Verfassung genannt wird, konzipierte
den österreichischen Kaiserstaat unitaristisch. Weder war den Ländern eine
Beteiligung an der Reichsgesetzgebung eingeräumt noch war eine eigene
Landesgesetzgebung vorgesehen. Die Länder waren auf den Status von Provinzen
herabgedrückt. Die Landtage blieben als "Provinzialstände" erhalten[12].
Neue Revolutionswellen veranlaßten zuerst, daß der Kaiser den vorgesehenen
Reichstag mit der Kompetenz der Schaffung einer Konstitution ausstattete, der
dann nach seinem Zusammentreten von Wien in die mährische Stadt Kremsier
fluchtete. Der von diesem Kremsierer Reichstag ausgearbeitete sogen. Kremsierer
Entwurf war föderalistisch angelegt. Er hob von der Reichszentralgewalt eine
eigene Landesregierungsgewalt ab[13]. Auf der Reichsebene wollte der Kremsierer Entwurf das föderalistische
Prinzip zur Geltung bringen, indem er die Länder an der Reichsgesetzgebung
beteiligte. Dies sollte dadurch geschehen, daß eine der beiden Kammern des
Reichstags als Ländervertretung gedacht war, die daher auch als die
Länderkammer bezeichnet wurde[14]. Sie sollte von den Landtagen beschickt werden[15]. In Ländern, die in ethnische Kreise eingeteilt waren, sollte
zusätzlich aus jedem Kreis durch den Kreistag je ein Abgeordneter in die
Länderkammer gewählt werden. Wäre der Kremsierer Entwurf
Verfassungswirklichkeit geworden, hätte er, indem er auf diese Weise die
Beteiligung aller Nationalitäten an der Reichsgesetzgebung sicherte, vielleicht
das Nationalitätenproblem in den Griff bekommen und den die Habsburgermonarchie
zersetzenden Nationalitätenkonflikt zu dämpfen vermocht.
Eine eigene Landesgesetzgebung, deren Kompetenzen taxativ aufgezählt waren,
sollte durch den Kaiser in seiner Eigenschaft als Landesoberhaupt gemeinsam mit
dem jeweiligen Landtag erfolgen, wobei der Gesetzesbeschluß des Landtags der
Sanktion des Kaisers bedurfte[16]. Den Landtagen war als erste Aufgabe die von konstituierenden Versammlungen
zugewiesen. Für die von ihnen beschlossenen Landesverfassungen wäre jedoch die
Bestätigung durch den Reichstag erforderlich gewesen[17].
Die vollziehende Gewalt wies der Kremsierer Entwurf wie die
Pillersdorfsche Verfassung in die alleinige Kompetenz des Kaisers[18]. Die Verwaltung in den Ländern sollte für den Kaiser jeweils ein von
diesem ernannter Landeschef führen, der in der Regel als Statthalter bezeichnet
wurde. Dieser sollte für die Vollziehung von Reichsgesetzen der Reichsregierung[19], für die von Landesgesetzen dem Landtag verantwortlich sein[20]. Die Gerichtsbarkeit sollte ausschließlich von staatlichen Richtern im
Namen des Kaisers ausgeübt werden[21].
Der Kremsierer Reichstag konnte seinen Verfassungsentwurf nicht
beschließen, da er infolge der erstarkten Reaktion vom Kaiser am 4.3.1849
aufgelöst wurde. Gleichzeitig erließ der Kaiser aber eine Verfassung, die
sogen. Oktroyierte Märzverfassung. Sie unterschied sich zwar grundsätzlich
insofern vom Kremsierer Entwurf, als sie nicht wie dieser auf dem Prinzip der
Volkssouveränität, sondern auf dem monarchischem Prinzip aufbaute, sie wollte
im übrigen aber den Anschein weitgehender Übereinstimmung mit dem vom
Kremsierer Reichstag ausgearbeiteten Verfassungsentwurf erwecken. Wenn sie auch
das Kaisertum Osterreich, in das sie im Unterschied zur Pillersdorfschen
Verfassung und zum Kremsierer Entwurf ebenfalls Lombardo-Venetien und Ungarn
einbezog[22], erstma1ig zu einem einheitlichen Zoll- und Wirtschaftsgebiet machte[23], bewahrte sie doch bis zu einem gewissen Grade den föderativen
Charakter des Staates. Der für die Reichsgesetzgebung zusammen mit dem Kaiser
vorgesehene Reichstag sollte neben einem gewähltem Unterhaus ein von den
Landtagen beschicktes Oberhaus haben. Dieses Oberhaus der Oktroyierten
Märzverfassung wäre allerdings, wenn es je gewählt worden wäre, infolge der
Besonderheit der Voraussetzungen des passiven Wah1rechts der
Oberhausmitg1ieder weniger eine Ländervertretung a1s vie1mehr eine
Interessenvertretung des Großgrundbesitzes der Länder der Habsburgermonarchie
geworden. In die Kompetenz des Reichstags wurden alle Angelegenheiten
verwiesen, die nicht durch die Reichsverfassung oder ein Reichsgesetz zu Landesangelegenheiten
erklärt wurden[24].
Die Gesetzgebung in Landesangelegenheiten sollte vom Kaiser in seiner
Eigenschaft als Reichsoberhaupt und nicht in der eines Landesoberhaupts
gemeinsam mit dem jeweiligen Landtag ausgeübt werden25[25]. Wie gegenüber dem Reichstag so war auch gegenüber dem Landtag dem
Kaiser in der Gesetzgebung ein absolutes Vetorecht eingeräumt[26]. Die Oktroyierte Märzverfassung hob die de facto bereits aufgelösten altständischen Verfassungsrelikte in
den Ländern ausdrücklich auf[27]. Oktroyierte Landesverfassungen der Jahre 1849 und 1850
organisierten die Landtage weder im altständischen Sinn noch als allgemeine
Volksvertretungen. Sie führten vielmehr ein neues Kuriensystem ein, wonach die
Landtage aus gewählten Abgeordneten bestehen sollten, die kontingentweise von
den Höchstbesteuerten, von Städten und Markten sowie von den Landgemeinden zu
wählen waren. Die Regelung wurde bis auf zwei Ausnahmen[28] vorerst zwar nicht Verfassungswirklichkeit, sie ging jedoch im
wesentlichen in die Landesordnungen und Landtagswahlordnungen aus dem Jahre
1861 ein und existierte deshalb in den Ländern bis 1918.
Die Oktroyierte Märzverfassung räumte den Ländern zwar
Gesetzgebungskompetenz ein, die Kompetenzzuweisung für die vollziehende Gewalt
erfolgte jedoch im rein zentralistischen Sinne. Verwaltung und Gerichtsbarkeit
waren Sache der Zentralgewalt. In jedem Land sollte ein vom Kaiser ernannter
Statthalter an der Spitze der Verwaltung stehen, der nicht nur für die
Vollziehung der Reichsgesetze, sondern im Unterschied zu der vom Kremsierer
Entwurf vorgesehenen Regelung auch für die der Landesgesetze der Reichsregierung
verantwortlich war[29].
Die Reaktion im Staat vermochte die Realisierung der Oktroyierten
Märzverfassung zu verhindern[30]. Am 31.12.1851 wurde durch die kaiserlichen Sylvesterpatente die konstitutionelle
Monarchie in Osterreich überhaupt beseitigt. Der österreichische Kaiserstaat
war nun wieder eine absolute Monarchie. Eines der Sylvesterpatente, die
«Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des
österreichischen Kaiserstaates», stellte das Programm für die Gestaltung der
staatlichen Verhältnisse im Sinne des nunmehrigen Neoabsolutismus auf. Die
Organisation des österreichischen Kaiserstaates hatte nach diesen Grundsätzen
in Unterordnung unter den Kaiser zentralistisch in allen Ländern einheitlich zu
erfolgen. Demgemäß wurde in jedem Land als kaiserliche Behörde eine
Landesstelle eingerichtet, die Statthalterei oder Landesregierung hieß, und an
deren Spitze der vom Kaiser ernannte Landeschef mit dem Titel eines
Statthalters bzw. Landespräsidenten stand.
Zu einer Revision des neoabsolutistischen Systems wurde der Kaiser 1860
genötigt. Der Verlust des Krieges gegen das Königreich Sardinien-Piemont hatte
eine staatliche Finanzmisere herbeigeführt, die die Regierung nur mit Hilfe der
finanzstarken Bevölkerungskreise des Staates bewältigen konnte. Diese aber
strebten nach Mitbestimmung im Staate. Eine zumindest scheinbare Rückkehr zum
Konstitutionalismus war daher für den Kaiser unausweichlich. Ein erster Schritt
wurde gesetzt, indem der den Kaiser beratende Reichsrat, der als einzige Institution
der Oktroyierten Märzverfassung errichtet worden war, um zusätzliche
Mitglieder, die von den zu bildenden Landtagen aus deren Reihen zu wählen
waren, vermehrt wurde (˝Verstärkter Reichsrat˝). Deren Zahl wurde
anfangs mit 38, im Oktober 1860 jedoch mit 100 festgesetzt. Ebenfalls am
20.10.1860 versprach der Kaiser mit
seinem sogen. Oktoberdiplom, daß er künftig in den allen seinen Königreichen
und Ländern gemeinschaftlichen Angelegenheiten, die taxativ aufgezahlt wurden,
diesen Reichsrat, in allen anderen Angelegenheiten die wieder zu errichtenden
Landtage obligatorisch, allerdings nur zur Beratung, hernziehen werde. Dieser
föderalistische Zuschnitt des in Aussicht genommenen Verfassungszustandes
entsprach den Vorstellungen des politischen Lagers der Konservativen jener
Zeit, in dem der großgrundbesitzende Adel tonangebend war, dessen
föderalistische Gesinnung an altständische Traditionen anknüpfte.
Wegen des dem Programm des Oktoberdiploms sonst aber entgegengesetzten
Widerstandes nahm der Kaiser schon wenige Monate später eine
verfassungpolitische Schwenkung zum liberalen politischen Lager vor, dessen
Hauptforderung auf Erlaß einer echten Konstitution gerichtet war. Die
Liberalen, die sich aus dem Groß- unti Bildungsbürgertum der deutschen Länder der
Monarchie rekrutierten, waren in Anknüpfung an den aufgeklarten Absolutismus
eines Josef II. Zentralisten. Ihren
politischen Vorstellungen entsprachen eine Reihe von Verfassungsgesetzen, die
der Kaiser am 26.2. 1861 in Kraft setzte und die in ihrer Gesamtheit die
Februarverfassung bilden. Der Reichsrat wurde nun zu einem echten Parlament,
das neben dem mit absolutem Vetorecht ausgestatteten Kaiser mitbeschließend für
die Reichsgesetzgebung zuständig war. Dieser Reichsrat war nach dem Zweikammersystem
strukturiert. Er hatte neben dem Herrenhaus ein von den Landtagen beschicktes
Abgeordnetenhaus. Aufgrund der im Rahmen der Februarverfassung für die
einzelnen Länder ergangenen Landesordnungen und Landtagswahlordnungen bestanden
die Landtage neben sogenannten Virilisten, die ex-officio Mitgliedschaft im Landtag hatten, aus gewählten
Abgeordneten, die nach dem 1849 erstmals eingeführten Kuriensystem gewählt
wurden, das nun allerdings insofern verändert war, als es statt der Kurie der
Höchstbesteuerten eine Kurie der Großgrundbesitzer und zusätzlich eine Kurie
der Mitglieder der Handelsund Gewerbegenossenschaften gab.
Wenn auch die Februarverfassung mit ihrem einschlägigen Grundgesetz über
die Reichsvertretung durch die Konstruktion des Abgeordnetenhauses als eines
Ausschußlandtages und durch die Existenz der Landtage föderative Elemente
aufwies, regelte sie das Verhältnis zwischen Gesamtstaat und Ländern im Grunde
jedoch zentralistisch. In diesem Sinn waren nämlich die Kompetenzen zwischen
Reichsrat und Landtagen verteilt: Das Grundgesetz über die Reichsvertretung
erklärte den Reichsrat für die allen Königreichen und Ländern
gemeinschaftlichen Angelegenheiten zuständig und zahlte diese in Anlehnung an
die einschlägige Bestimmung des Oktoberdiploms auf[31]. Dem Reichsrat kam darüber hinaus insofern eine Generalzuständigkeit zu,
als er auch für alle Angelegenheiten zuständig war, die nicht durch die
Landesordnungen in die Kompetenz der einzelnen Landtage verwiesen wurden[32].
Die Landtage hatten aber außer der Beschlußfassung in der
Landesgesetzgebung, die der Sanktion durch den Kaiser bedurfte, auch
Kompetenzen in der Landesverwaltung. Hinsichtlich der Verwaltung in den
Ländern bestand insofern eine Zweigeleisigkeit, als es neben der staatlichen
Verwaltung durch die Statthalterei mit dem vom Kaiser ernannten und der
Reichsregierung verantwortlichen Statthalter an der Spitze eine autonome
Landesverwaltung gab, die der Landtag durch den aus seiner Mitte gewählten
Landesausschuß mit dem Landmarschall oder Landeshauptmann an der Spitze
ausübte. Bei dieser autonomen Verwaltung von Landesangelegenheiten durch den
Landtag handelte es sich im großen und ganzen um die Verwaltung des noch aus
der Zeit des ständischen Dualismus stammenden Landesvermögens, also um
Wirtschaftsverwaltung.
Die Februarverfassung, die Ungarn in ihren Geltungsbereich einbezogen
hatte, scheiterte am Widerstand der Ungarn, die Eigenstaatlichkeit mit eigener
ungarischer Verfassung forderten[33]. Nach dem durch das Ende des Deutschen Bundes erzwungenen Ausscheiden der
deutschen Länder der Habsburgermonarchie aus der deutschen Staatengemeinschaft
im Jahre 1866 wurde 1867 das Verhältnis zwischen Cisleithanien und
Transleithanien durch den berühmten Ausgleich im Sinne einer Realunion zweier
Staaten geregelt. Noch im selben Jahr erhielt der cisleithanische Gesamtstaat,
der nach seinem Gesetzgebungsorgan offiziell als «die im Reichsrat vertretenen
Königreiche und Länder» bezeichnet wurde, eine neue Verfassung in Gestalt der
aus einer Reihe von Staatsgrundgesetzen vom 21.12.1867 bestehenden sogen. Dezemberverfassung,
die den Staat als dezentralisierten Einheitsstaat organisierte. Das
Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung in der Fassung, die das aus dem
Jahre 1861 stammende Gesetz 1867 erhielt, beließ den aus dem Herrenhaus und dem
Abgeordnetenhaus bestehenden Reichsrat neben dem mit absolutem Vetorecht ausgestatteten
Kaiser als das mitbeschließende Repräsentativorgan für die Reichsgesetzgebung
Cisleithaniens. Das Abgeordnetenhaus wurde anfangs nach wie vor von den Landtagen
beschickt, seit einer Wahlreform von 1873 jedoch von den in die erwähnten vier
Kurien oder Klassen eingeteilten Landtagswählern gewählt. Der Reichsrat war für
die allen Königreichen und Ländern gemeinschaftlichen Angelegenheiten
zuständig, jedoch nur insoweit, als diese nicht infolge des Ausgleichs mit
Ungarn von Cisleithanien und den Ländern der ungarischen Krone gemeinsam zu
regeln waren[34]. Das Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung von 1867 zählte die
Kompetenzen des Reichsrats, indem es weitgehend den Regelungen von 1860 und
1861 folgte, taxativ auf[35]. Alle anderen Angelegenheiten aber fielen nun, in Umkehrung der
einschlägigen zentralistischen Generalklausel der Fassung des Gesetzes von
1861, in die Kompetenz der Landtage[36], die in dieser Hinsicht 1867 aufgewertet wurden. Es war jedoch jedem
Landtag unbenommen, in seine Zuständigkeit fallende Angelegenheiten an den
Reichsrat zu übertragen[37].
Die Landtage, deren Gesetzesbeschlüsse der Sanktion des Kaisers in dessen
Eigenschaft als Reichsoberhaupt, nicht als Landesherr des betreffenden Landes,
bedurften, wurden weiterhin nach einem, im Lauf der folgenden Zeit allerdings
verschiedentlich reformierten, Kurienwahlrecht gewählt. Die Verwaltung in den
Ländern blieb durch die erwähnte Zweigeleisigkeit gekennzeichnet, die die
Monarchie überdauerte und erst 1925 beseitigt wurde. Die Gerichtsbarkeit
verblieb gemäß dem Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt von 1867 in
der Kompetenz des cisleithanischen Gesamtstaates, und diese Kompetenzregelung
hat auch der republikanische Bundesstaat bis heute beibehalten.
In unserem Jahrhundert wurde Österreich zweimal bei Verfassungsumbrüchen,
die ohne Verfassungskontinuität erfolgten, anfangs als zentralistischer
Einheitsstaat eingerichtet. Die Entwicklung ging dann jeweils über eine
Verfassungsordnung im Sinne eines dezentralisierten Einheitsstaates zu der des
Bundesstaates, der jedoch infolge jener Entwicklung auf Dauer unitaristische
Züge anhafteten und noch heute anhaften[38]. Das war sowohl 1918 bis 1920 als auch 1945 der Fall.
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie gestaltete die aus den
Reichsratsabgeordneten der deutschen Länder der Habsburgermonarchie gebildete
Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich die von ihr mit ihrem
Beschluß über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt vom 30.10.1918[39] revolutionär gegründete Republik Deutschösterreich als zentralistischen
Einheitsstaat[40]. In den Länder hatten sich jedoch ebenso revolutionär Provisorische
Landesversammlungen gebildet, von denen einige Beitrittserklärungen zur
Republik Deutschösterreich abgaben[41]. Die Provisorische Nationalversammlung ihrerseits legalisierte alle
Provisorischen Landesversammlungen mit ihrem Gesetz betreffend die Übernahme
der Staatsgewalt in den Ländern vom 14.11.1918[42]. Sie räumte den Ländern damit zwar noch nicht die von diesen faktisch in
Anspruch genommene Gesetzgebung ein[43], wohl aber einen Anteil an der Vollziehung. Allerdings band sie die
Landesregierung bei deren gesamter Amtsführung an die Anweisungen der
Staatsregierung in Wien. Die 1919 aus Wahlen hervorgegangene Konstituierende
Nationalversammlung übernahm mit ihrem Gesetz über die Volksvertretung vom
14.3.1919[44] die Nachfolge der Provisorischen Nationalversammlung als gesetzgebende
Körperschaft. Sie gewahrte den in jener Zeit gewahlten Landtagen die Kompetenz
ftir die Landesgesetzgebung. Allerdings erhielt die zentrale Staatsregierung
eine Art suspensiven Vetorechts gegenüber den Gesetzesbeschlüssen der Landtage,
bei manchen Landesgesetzen[45] sogar ein absolutes Vetorecht. Alle Landesgesetze konnten von ihr wegen
Verfassungswidrigkeit beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden. Ihre
Aufgabe als Konstituente erfüllte die Konstituierende Nationalversammlung
schließlich, indem sie für den nun[46] "Republik Österreich" genannten Staat mit dem von ihr beschlossenen Bundes-Verfassungsgesetz vom 1.10.1920[47] eine bundesstaatliche Verfassung einführte. Ein gleichzeitig
ergangenes Verfassungsübergangsgesetz[48] rezipierte jedoch vorläufig die Kompetenzbestimmungen der
Dezemberverfassung 1867.
1945 setzte nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes in Osterreich die von
den in Wien vorhandenen politischen Parteien gebildete Provisorische
Staatsregierung mit ihrem sogen. Ersten Verfassungs-Überleitungsgesetz vom 1.5.1945[49] das B-VG 1920 in der Fassung von 1929 wieder in Kraft. Da jedoch zum
damaligen Zeitpunkt die demokratische und föderalistische Verfassung vor allem
wegen des Fehlens parlamentarischer Einrichtungen zum Teil tatsächlich
undurchführbar war, erließ die Provisorische Staatsregierung gleichzeitig eine
Vorläufige Verfassung[50]. Diese war nicht nur gewaltenverbindend, sondern auch einheitsstaatlich. Sie
räumte die Gesetzgebung und die Leitung der Verwaltung für ganz Osterreich der
Provisorischen Staatsregierung in Wien ein. Die Provisorische Staatsregierung
war aber anfangs nur von der sowjetischen Besatzungsmacht anerkannt. In den
Besatzungszonen der Westmächte hatten sich von diesen anerkannte Provisorische
Landesregierungen gebildet. 1m Verlauf des Sommers 1945 kam es zur
wechselseitigen Anerkennung der Provisorischen Staatsregierung und der
Provisorischen Landesregierungen. Mit ihrer Verfassungsnovelle vom 12.10.1945[51] nahm die Provisorische Staatsregierung insofern eine Dezentralisierung
des Einheitsstaates vor, als sie den Provisorischen Landesregierungen die
Landesgesetzgebung - und Verwaltung zugestand, die Kundmachung der
Landesgesetze allerdings an die Zustimmung der Provisorischen Staatsregierung
band. Als schließlich auf Anordnung der nun auch von den Westmächten
anerkannten Provisorischen Staatsregierung der Nationalrat und die
Länderparlamente gewählt worden waren, konnten die Kompetenzen der
provisorischen Staatsorgane auf die dem B-VG entsprechenden Staatsorgane
übergehen. Seit dem Zusammentreten des Nationalrats und des Bundesrats zur
Bundesversammlung am 19.12.1945 ist die gewaltentrennende und bundesstaatliche
österreichische Verfassung von 1920/29 wieder voll wirksam.
In der Anfangszeit der Republik war die Zahl der historischen Länder Osterreichs
um zwei neue vermehrt worden. Einen Teil Westungarns, wo Deutsch gesprochen
wurde, wollte man schon gegen Ende der Monarchie von Transleithanien abtrennen
und Cisleithanien zuordnen. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt die
österreichische Republik das von ihr beanspruchte Gebiet[52] durch die von den Siegermächten mit Österreich und Ungarn geschlossenen
Vertrage (von Saint Germain und von Trianon) zugesprochen. Die Inbesitznahme
durch Österreich konnte jedoch erst erfolgen, als der ungarische Widerstand
durch einen auf Vermittlung Italiens zwischen Österreich und Ungarn
geschlossenen Vergleich (Venediger Protokoll vom 13.10.1921) überwunden war. Seit
November 1921 gehört ein Teil des ehemaligen Deutsch-Westungarn mit dem Namen
Burgenland zur Zahl der österreichischen Bundesländer[53]. Diese Zahl wuchs schließlich auf neun an, als Wien, das seit jeher zum
Land Niederösterreich gehört hatte, dessen Hauptstadt es gewesen war, durch
Trennungsgesetze beider Landestei1e am 1.1.1922 von Niederösterreich getrennt und
zu einem eigenen Bundesland wurde[54].
A1s Rechtshistoriker habe ich mir die Freiheit genommen, bei der Behand1ung
meines Themas dessen verfassungsgeschicht1iche Seite in den Vordergrund zu
rücken. Das enthebt mich frei1ich nicht, Ihnen noch die gegenwärtige
Verfassungssituation zumindest skizzenhaft vorzuführen.
Die Institutionen der österreichischen Bundesverfassung bieten, wie es ein
Wiener Öffentlichrechtler sagt[55] «eher das Bild eines dezentralisierten Einheitsstaates». Unter welchem
Aspekt man den österreichischen Bundesstaat auch betrachtet, «stets erweist er
sich a1s extrem zentralistisch»[56].
Die Republik Österreich bildet ein einheitliches Wahrung-, Wirtschafts- und
Zollgebiet[57]. Die Staatsbürgerschaft ist eine einheitliche[58]. Bund und Länder sind nach der österreichischen Bundesverfassung zwar
prinzipiell rechtlich gleichwertig, was sich darin äußert, daß im Verhältnis
zwischen einfachen Bundesgesetzen und einfachen Landesgesetzen nicht der
Grundsatz «Bundesrecht bricht Landesrecht», sondern die 1ex-posterior-Regel
gilt[59]. Jedoch steht die Kompetenz - Kompetenz dem Bundesverfassungsgesetzgeber,
d.h. dem Nationalrat, zu[60]. Die Kompetenzverteilung durch das B-VG ist zwar gesetzestechnisch
insofern födera1istisch, als eine Generalklausel zugunsten der Länder alle
Angelegenheiten in deren Zuständigkeit verweist, die nicht ausdrücklich dem
Bund übertragen sind[61]. In seinen vorausgehenden Bestimmungen räumt das B-VG dem Bund aber
ausdrücklich so viele Kompetenzen ein, daß für die Länder kaum größere, in sich
geschlossene Aufgabenbereiche übrig bleiben[62]. Das B-VG verteilt an den Bund und an die Länder Kompetenzen zur
Gesetzgebung und Kompetenzen zur Vollziehung. Die Kompetenzen zur Vollziehung
erstrecken sich jedoch nicht auf die Gerichtsbarkeit, die in Österreich
traditionsgemäß dem Zentralstaat zukommt und daher eine Bundeskompetenz ist[63]. Sie erstrecken sich auch nicht auf die sogen. Privatwirtschaftsverwaltung[64], worunter die Tätigkeit von Verwa1tungsorganen in Rechtsformen des
Privatrechts zu verstehen ist.
Das B-VG kennt vier Haupttypen del Kompetenzverteilung: 1. Der Bund hat die
Kompetenz für die Gesetzgebung und die Vollziehung[65]. Dazu gehört von Anfang an die weitaus größte Zahl von Kompetenzen, die im Laufe der Zeit zu Lasten der
Länderkompetenzen sogar noch vermehrt wurden. So ist seit 1962 auch die bis
dahin nicht definitiv festgelegte Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des
Schul- und Erziehungswesens zentralistisch geregelt und diese dementsprechend
Bundessache[66]. 2. Der Bund hat die Kompetenz für die Gesetzgebung, das Land für die
Vollziehung[67] wie z.B. hinsichtlich des Staatsbürgerschaftsrechts. 3. Der Bund hat die
Kompetenz für die Grundsatzgesetzgebung, das Land für die
Ausführungsgesetzgebung und für die Vollziehung[68] wie z.B. hinsichtlich von Heil- und Pflegeanstalten. 4. Das Land hat die
Kompetenz für die Gesetzgebung und die Vollziehung[69]. Zu der erwähnten Tendenz der Ausweitung der Bundeskompetenzen gibt es
seit der Mitte der 70er Jahre eine gegenläufige Tendenz des Ausbaus des
Föderalismus. So können seit 1974 die Länder mit dem Bund oder untereinander
über Angelegenheiten ihres jeweiligen Wirkungsbereiches sogen. Gliedschaftsverträge
schließen, auf die die Grundsätze des völkerrechtlichen Vertragsrechts
anzuwenden sind[70]. Und seit 1989 besteht für die Länder die Möglichkeit, im Rahmen ihres
selbständigen Wirkungsbereichs, unter Aufsicht des Bundes, Staatsverträge mit
den Nachbarstaaten Österreichs abzuschließen[71].
Als wesentliches Merkmal des Bundesstaats gilt nach Ansicht des
österreichischen Verfassungsgerichtshofs neben der Kompetenzverteilung auf Bund
und Länder die Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes[72]. Die Verfassung sieht dafür den Bundesrat vor. Im Bundesrat sind die
Länder proportional nach ihrer Bevölkerungszahl vertreten. Das größte Land, nämlich Wien, stellt 12
Mitglieder des Bundesrats, die anderen Länder soviele, wie es dem Verhältnis
ihrer Bevölkerungszahl zu derjenigen des größten Landes entspricht, mindestens
aber drei[73]. Die Mitglieder des Bundesrats werden von den Landtagen nach dem
Parteienproporz gewählt. Sie müssen nicht dem Landtag angehören[74].
Sie sind an keine Weisungen des Landtags gebunden[75]. Infolge del Zusammensetzung des Bundesrats spiegeln sich in diesem die
parteipolitischen Verhältnisse des Nationalrats wider und ist der Bundesrat in
der Verfassungswirklichkeit weniger ein Organ der Länder als vielmehr ein
solches der politischen Parteien[76]. Der Bundesrat hat gegenüber den Gesetzesbeschlüssen des Nationalrats ein
suspensives Vetorecht[77].
Umgekehrt wirkt aber auch der Bund an der Landesgesetzgebung mit. Dies
geschieht durch die Bundesregierung, der die Gesetzesbeschlüsse der Landtage
vor ihrer Kundmachung vorzulegen sind und die gegen diese wegen Gefährdung von
Bundesinteressen Einspruch erheben kann, dem allerdings nur suspensive Wirkung
zukommt[78]. Ein Zustimmungsrecht hat die Bundesregierung jedoch bei
Gesetzesbeschlüssen der Landtage, die eine Mitwirkung von Bundesorganen bei
der Vollziehung vorsehen[79].
Für den österreichische Bundesstaat besonders typisch ist die sogen.
mittelbare Bundesverwaltung. Die zahlreichen Verwaltungskompetenzen des Bundes
werden in den Instanzen unterhalb der Bundesministerien regelmäßig von den
Landesbehörden, d.h. vom Landeshauptmann und den ihm unterstellten
Landesbehörden, ausgeübt[80]. Es werden auf diese Weise die Kosten des zweifachen Verwaltungsapparats
der früheren Doppelgeleisigkeit der Verwaltung vermieden. Vor allem aber haben
die Länder dadurch Einfluß auf die Vollziehung von Bundeskompetenzen. Die
mittelbare Bundesverwaltung ist somit einerseits ein föderalistisches Element
des österreichischen Bundesstaats. Sie ist aber andererseits, indem in ihrem
Rahmen das oberste Verwaltungsorgan des Landes, nämlich der Landeshauptmann,
den Weisungen des zuständigen Bundesministers unterworfen ist[81], kennzeichnend für die zentralistische Struktur des österreichischen
Bundesstaats[82].
Die verfassungspolitische Diskussion über die Umgestaltung des
österreichischen Bundesstaats im Sinn von Forderungsprogrammen der Länder zur
Stärkung des Föderalismus reicht bis in die Gegenwart. Seit Jahren zeichnet
sich eine Entwicklung in Richtung eines kooperativen Föderalismus ab, bei dem
zwischen Bund und Ländern nicht mehr ein hierarchisches Verhältnis, sondern ein
solches der Koordination besteht. Wie aktuell und schillernd das
Föderalismusproblem in Österreich und wie zugleich historisch tief verwurzelt
der österreichische Föderalismus ist, wurde erst jüngst unter Beweis gestellt. Da
wurde unter der Devise der Verwaltungsvereinfachung sowie der Aufwertung des
Föderalismus im Sommer dieses Jahres von dem Mitglied einer Landesregierung[83] die Auflösung der Bundesländer und ihre Ersetzung durch drei zu bildende
Regionen (West, Sud, Ost) vorgeschlagen, und da wurde der Vorschlag vom
Landeshauptrnann eines anderen Landes[84] prompt vor allem mit der Begründung zurückgewiesen, daß die selbständigen
österreichischen Bundesländer Träger eines Identitätsbewußtseins der jeweiligen
Landesbevölkerung seien.
[2] Um diesen Kern ist eine Vielzahl von
besonderen Bundesverfassungsgesetzen und bundesverfassungsrechtlichen
Bestimmungen in einfachen Bundesgesetzen und Staatsverträgen geschaffen worden.
[3] Zu Fo1gendem verg1eiche R. Hoke, Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte, Wien - Köln -
Weimar, 21996, 73 ff.
[4] Vgl. ebda., 195 ff.
[5] V gl. ebda., 228 ff.
[6] Vgl. u.a. K.
Weber, Föderalismus, in: Handbuch des politischen Systems
Österreichs. Erste Republik 1918-1933, hg. v. Talos - Dachs - Hanisch -
Staudinger, Wien 1995, 123.
[7] Vgl. R.
Hoke, L'Empereur d'Autriche et
l'Empereur Romain. Les changements intervenus en 1804 et 1806 à la suite de la
Révolution Française, in: P. Villard
- I.M. Carbasse, hg., L'Unité des
principaux Etats européens a la veille de la Révolution, Paris 1992, 152 ff
(155); auch deutsch: Der Kaiser von Österreich und der Römische
Kaiser, in: Heiliges Römisches Reich
und moderne Staatlichkeit (= Rechtshistor. Reihe 101 Frankfurt a.M. -
Berlin - Bern-New York-Paris-Wien 1993, 111
ff (116).
[8] Vgl. Hoke, Anm. 3, 308.
[9] Art. 13 DBA.
[10] Vgl. Hoke,
Anm. 3, 310 ff.
[11] Zum Folgenden vgl. ebda., 341 ff.
[12] § 54.
[13] §§ 34, 40 ff, 102 ff.
[14] § 73.
[15] §§ 99 ff.
[16] §§ 35,114,117.
[17] § 111.
[18] § 38.
[19] § 102.
[20] § 104.
[21] §§ 39, 132.
[22] §1.
[23] § 7.
[24] § 36 lit.k.
[25] § 37.
[26] §§ 66, 80 Abs. 2.
[27] § 77 Abs. 2.
[28] Triest und die Militärgrenze.
[29] §§ 92, 94.
[30] Zum Folgenden vgl. Hoke, Anm. 3, 359 ff.
[31] § 10.
[32] § 1l.
[33] Zum Folgenden vgl. Hoke, Anm. 3, 384 ff.
[34] § 11 Abs. 1.
[35] § 11 Abs. 2.
[36] § 12 Abs. 1.
[37] § 12 Abs. 4.
[38] Vgl. Hoke,
Anrn. 3,458 ff, 501 ff; O. Lehner,
Österreichische Verfassungs- und
Verwaltungsgeschichte, Linz 1992, 240 ff, 349 ff, 365 ff.
[39] StGBl. Nr. l.
[40] Nach W.
Brauneder - F. Lachmayer, Österreichische
Verfassungsgeschichte, Wien6 1995,193, trat die Republik Deutschösterreich
schon mit der Staatsgründung de facto
als dezentralisierter Einheitsstaat ins Leben.
[41] StGBI. Nr. 23; vgl. B. Pernthaler, Die Staatsgründungsakte der österreichischen Bundesländer. Eine
staatsrechtliche Untersuchung über die Entstehung des Bundesstaates, Wien
1979, 25 f.
[42] StGBI. Nr. 24.
[43] Vgl. Lehner,
Anm. 38, 250, Anm. 42. Anderer Meinung Brauneder-Lachmayer,
Anm. 40, 193.
[44] StGBl. Nr. 179.
[45] Zu deren Vollziehung war die Mitwirkung
der Staatsregierung erforderlich wie z.B. hinsichtlich des Forst- und
Jagdwesens.
[46] Gesetz über die Staatsform vom
21.10.1919, StGBl. 484.
[47] BGBl. l.
[48] Verfassungsgesetz betreffend den Übergang
zur bundesstaatlichen Verfassung, BGBl. 2.
[49] Verfassungsgesetz über das neuerliche
Wirksamwerden des Bundes- V erfassungsgesetzes in der Fassung von 1929, StBGI.
4.
[50] Verfassungsgesetz über die vorläufige
Einrichtung der Republik Österreich vom 1.5.1945, StGBl. 5.
[51] StBGI. 196
[52] Staatserklärung vom 22.11.1918, StBGI. 41.
[53] Vgl. Hoke,
Anm. 3, 467 f.
[54] Vgl. R. Hoke,
Wien, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hg. von A. Erler + - E. Kaufmann - D. Werkmüller, 38. Lfg. Berlin 1995, 1377 ff
(1388).
[55] Öhlinger, Anrn. l, 897.
[56] ebda.
[57] Art. 4 B- VG.
[58] Vgl. R.
Walter-H.Mayer, Grundriß des
Österreichischen Bundesverfassungsrechts, Wien 81996,85.
[59]Vgl. Th.
Öhlinger, Verfassungsrecht,
Wien 3 1997,
103.
[60]Vgl. ebda. 108.
[61] Art. 15 Abs. l B-VG.
[62] Vgl. Öhlinger,
Anrn. l, 897 f.
[63] Art. 82 B-VG.
[64] Art. 17 B- VG; vgl. dazu H. Schäffer, Aktuelle
Problerne des Föderalisrnus in Österreich, in: österreichische JZ 1981,
1ff (3 rnit Anrn. 15).
[65] Art. 10 B-VG.
[66] Art. 14 B-VG.
[67] Art. 11 B-VG.
[68] Art. 12 B-VG.
[69] Art. 15 B-VG.
[70] Art. 15a B-VG.
[71] Art. 16 B-VG; vgl. B. Pernthaler, Der differenzierte Bundesstaat. Theoretische Grundlagen, praktische Konsequenzen
und Anwendungsbereiche in der Refonn des österreichischen Bundesstaates,
Wien 1992, 57 f.
[72] VfGH, Slg. 2455/1952.
[73] Art 34 B-VG.
[74] Art. 35 B-VG.
[75] Art. 56 B-VG.
[76] Vgl. Öhlinger,
Anrn. 1,902; ders., Anrn. 59, 129.
[77] Art 42 B-VG.
[78] Art 98 B-VG.
[79] Art 97, Abs. 2 B-VG.
[80] Art. 102 B-VG. Die unrnittelbare
Bundesverwaltung durch eigene Bundesbehörden stelIt derngegenüber die Ausnahrne
dar.
[81] Art 103 Abs. 1 B-VG.
[82] Vgl.
F. Esterbauer, Kriterien
föderativer und konföderativer Systerne, Wien 1976, 81; Öhlinger, Anrn. 59, 132; ders., Anrn. 1,
899.
[83] Vom steirischen ÖVP-Landesrat Gerhard Hirschmann
am 30.7.1997 in der Zeitung DER STANDARD.
[84] Vom oberösterreichischen ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer.